Konfliktkultur: Weitsicht - Das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen
„Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Wenn dann die Zeit der Ernte da ist, werde ich den Arbeitern sagen: Sammelt zuerst das Unkraut und bindet es in Bündeln, um es zu verbrennen; den Weizen aber bringt in meine Scheune.“ (Mt 13,30)
Evangelium:
Das Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen (Mt 13,24-30. 34-36)
Der Mann tut sein Möglichstes, damit seine Arbeit gute Früchte hervorbringt. Aber es gibt ein Problem, das sich erst im Laufe der Zeit zeigt. Der Mann und all seine Mitarbeiter haben geschlafen – wie jeder Mensch nicht immer nur wachsam sein kann – und der erwähnte Feind braucht nur ein paar Minuten, um seine Saat des Misstrauens und der Verwirrung zu säen.
Alles braucht seine Zeit zum Wachsen, bevor die Qualität der Pflanzen sichtbar wird. Das Gute und das Böse, das Nützliche und das Unnütze, das Wichtige und das Überflüssige sind manchmal nicht sofort unterscheidbar. So kommt das große Erstaunen, die Erkenntnis und die kritische Rückfrage erst später: Wurde von uns nicht nur Gutes gesät? Haben wir nicht das Beste gewollt? Wieso ist das Ergebnis anders?
Die Antwort ist einfach: Von außen kommt das Problem, das aber jetzt mitten unter uns Wurzeln geschlagen hat. Damit stehen wir vor einem Dilemma: zwar könnten wir alle Störungen beseitigen, aber das wäre mit einem enormen Aufwand verbunden. Zwangsläufig würden wir manches Gute mitzerstören: wo etwa die Wurzeln von Unkraut und Weizen zu nahe beisammen sind; wenn aus Versehen ein guter Halm entfernt wird; wenn im Eifer der Arbeit andere Weizenhalme niedergetreten werden oder überhaupt die Pflege des Feldes vor lauter Ausreißen zu kurz kommt.
Natürlich könnte man sich dem Ärgerlichen widmen und ein Verärgerter bleiben. Im Blick hat man das Störende. Auf die Pracht des Weizens achtet man nicht – soll man unter diesen Umständen gar nicht achten –, da man auf das Unkraut fixiert ist.
Die Trennung zwischen Brauchbarem und Unbrauchbarem in diesem Gleichnis erfolgt erst bei der Ernte. Diese Unterscheidung ist konsequent. Das vielleicht schön blühende Unkraut kommt weg, denn nur der Weizen ist sinnvoll und kann Nahrung abgeben.
Die Deutung dieses Gleichnisses kann auf mehreren Ebenen erfolgen. Jesus stellt es in den Zusammenhang mit dem Gericht am Ende der Welt (Mt 13, 36-52). Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur möchte ich aber auch andere Anregungen geben:
Da ist einmal die gute Absicht und die eigentlich fehlerfreie Ausführung des Plans durch den Mann: Er tut sein Bestes. Dass dennoch Störungen kommen, liegt nicht an ihm. Das ist schlicht eine Realität, die er nicht verhindern kann. Ebenso ist Schlaf, die Müdigkeit, die Unachtsamkeit, eine nicht überwindbare Realität des Lebens. Sogar die mangelnde Wachsamkeit gegenüber der Sünde bzw. deren Einfluss ist für einen endlichen Menschen unvermeidbar. (Und deshalb braucht es das Bemühen um fortwährende innere Erneuerung bzw. Umkehr.)
Das nutzt der „Feind“ aus, der vom Guten ablenken will. Einerseits können die eigenen Gedanken, Worte und Taten, die in Unachtsamkeit entgleiten und Unruhe stiften, der Grund für eine kurzzeitige Vernachlässigung der Ernte sein. Andererseits kann das Problem von außen durch Störenfriede verursacht werden, die man als solche vielleicht gar nicht erkennt und deren Tun man nicht durchschaut. Erst im Nachhinein weiß man mehr. Dann sind diese meistens weg; eventuell sitzen sie noch da, haben aber in der Zwischenzeit von ihrem feindlichen Tun abgelassen.
Man sieht das Durcheinander von Gutem und Ungutem. Dabei ist Unkraut oft bunter und prächtiger als Getreide. Für den außenstehenden Betrachter, sogar für Insider, die nichts mit Feldarbeit zu tun haben, mag das ein hübscher Anblick sein. Vom Gesichtspunkt eines Malers zum Beispiel könnte das Unkraut sogar als das Bessere betrachtet werden. Aber die Mitarbeiter lassen sich von diesem äußeren, rein ästhetischen Eindruck nicht beirren. Doch eine Verwirklichung ihrer Idee, das ganze Unkraut zu entfernen, würde in keinem Verhältnis zum Aufwand stehen. Außerdem kann der Eifer gegen das Unnütze blind machen für das Nützliche. Wer intensiv mit dem Ausreißen zu tun hat, kann zumindest zeitweise seine eigentliche Aufgabe der Pflege vergessen. Das soll nicht übersehen werden: nicht bei der Beobachtung von Ereignissen in Kirche und Welt, nicht bei Unternehmungen in kleinen Gruppen, nicht bei der Betrachtung eines Mitmenschen, nicht bei der eigenen Gewissenserforschung über das Ackerfeld in mir selbst.
Eine Entscheidung steht für die Zeit der Ernte an und folgt unter dem ursprünglichen Gesichtspunkt: Es soll Weizen sein! Es soll Getreide geerntet werden! Das ist vielleicht langweiliger als Blumenpflücken und mag weniger Spaß machen. Aber man muss sich klar vom Unkraut verabschieden, ohne falsche Rücksichtnahme, ohne verärgerten Rückblick und ohne übermäßige Wut über den Feind oder über die zusätzliche, mühsame Arbeit. Die entscheidende und wichtigste Aufmerksamkeit gebührt dem guten Getreide, das für die Verwertung als Nahrung, als lebenswichtiges Gut aufbewahrt und zu seiner Zeit verwendet werden soll.
Aus diesem Gedanken ergibt sich eine Vielfalt von Anstößen für eine christliche Konfliktkultur. Bedeutsam ist die Ruhe und Konsequenz des Mannes, der nicht über Verwirrung klagt, sich nicht beim Negativen oder dessen Beseitigung aufhält, sondern das gute Ziel immer vor Augen behält; der alles bedenkt, was diesem Ziel auch unter veränderten Umständen und unter Störungen am dienlichsten ist. Er bleibt gegenüber dem Unguten unbeirrbar. Er bringt das Erreichte in Sicherheit für seinen späteren, lebenswichtigen, unspektakulären Zweck.
Konfliktkultur: Vertrauen - "Bittet und ihr werdet empfangen..."
„Wenn ihr in mir bleibt und wenn meine Worte in euch bleiben, dann bittet um alles, was ihr wollt: Ihr werdet es erhalten.“ (Joh 15,7)
Evangelium: „Bittet und ihr werdet empfangen“ (Mt 7,7-11, Mk 11, 24, Lk 11,9-13, Joh 14, 13-14; 15,7; 16, 23-24)
Die Grunddimension der Beziehung der Christen zum Vater vollzieht sich im lebendigen Kontakt. Man weiß sich von Gott geführt und vertraut seiner Vorsehung. Trotzdem bleibt die Aufgabe, alles in der eigenen Kraft Stehende für eine gute Lebens- und Weltgestaltung zu tun. Gott verspricht seine Unterstützung in höchstem Maß, lässt aber Freiheit und nimmt deshalb niemandem die Verantwortung für sein Leben ab.
Selbstverständlich gehört das Gespräch mit Gott in all seiner Breite zum christlichen Alltag. Jederzeit sind daher Bitten angebracht, deren Erfüllung im Sinn Gottes zugesagt wird, was aber nicht immer den eigenen Vorstellungen entspricht.
Bitten haben auch ihren Platz in einer christlichen Konfliktkultur. Hier wendet man sich an Gott, um für die rechte Sicht, die Kraft, die Lösung eines Konflikts zu beten. Gottes Konfliktbewältigung mag anders aussehen, als wir es wünschen, aber sie wird zu ihrer Zeit gründlicher und tiefer befreien, als es je die Konfliktlösungsinstrumentarien tun können, die den Menschen immer schon zur Verfügung stehen (würden). Zuallererst muss das Herz berührt werden. Das geschieht nur, wenn Gott hilft. So führt das Bitten angesichts von Konfliktsituationen überraschenderweise zu einer Bitte für ein weises, unverzagtes Herz (vgl. Mt 13, 20, Mt 15, 18, Mk 7, 19-21, Mk 16, 15, Joh 12, 49). Dazu lassen sich z.B. folgende Anregungen finden:
Altes Testament:
gottliebend (Dtn 6,5), von Gott bewohnt (1 Sam 10,26), aufrichtig (1 Kön 3), hörend (1 Kön 3,9), weise, verständig (1 Kön 3,12), weit (1 Kön 5,9), von Gott erfreut (Ps 19,9), auflebend (Ps 22,27), angstfrei (Ps 25,17), Gott vertrauend (Ps 28,7), nach Gott gebildet (Ps 33,15), zu Gott gelenkt (1 Kön 8,58), ungeteilt (1 Kön 8,61), Gott suchend (1 Chr 22,19), ehrlich (2 Chr 19,9), redlich (Ps 7,11), Gott hingegeben (2 Chr 31,21), gotttreu (Neh 9,8), hoffend (Jdt 6,9; 2 Makk 1,3), fest (Ijob 41,16), allein auf Gott gerichtet (Ps 86,11), nicht bösen Worten zugeneigt (Ps 141, 4), fröhlich (Spr 15,13), für Gott leidenschaftlich (Spr 23,17), für Gott bereit (Sir 2,17), gottliebend (Sir 47,8), zu Gott umgekehrt (Jer 24,7), verständig (Bar 2,31), anders, lebendig, neu (Ez 11,19)
Neues Testament:
rein (Mt 5,8), alles kommt aus dem Herzen (Mt 15,18), nicht verstockt (Mk 3,5), brennend (Lk 24,32), nicht verwirrt (Joh 14,1), nicht beunruhigt und nicht verzagt (Joh 14,27), einfältig (Apg 2,46), von der Liebe Gottes erfüllt (Röm 5,5) Gott gehorsam (Röm 6,17), von Jesus Christus bewohnt (Eph 3,17), vom Frieden Christi beherrscht (Kol 3,18), gefestigt (1 Thess 3,13 2 Thess 3,5) stark (Jak 5,8), von Gott gelenkt (Offb 17,17)
Diese Bitte schließt alle ein, besonders jene, die in einen Konflikt verstrickt sind.
Dass dem rechten Bitten rechte Taten folgen, resultiert aus dem Gebet, aus dem Hören und Befolgen des Willens Gottes. Die Liebe, die größte Kraft der Überwindung des Bösen und Trennenden, muss das Herz erfüllen.
Mit einem Beten um ein rechtes Herz ließe sich auch ein neuer Zugang zu einer lebensnahen Herz Jesu-Verehrung finden.
Konfliktkultur: Bitten - Der zudringliche Freund
„Ich sage euch: Wenn er schon nicht deswegen aufsteht und ihm seine Bitte erfüllt, weil er sein Freund ist, so wird er doch wegen seiner Zudringlichkeit aufstehen und ihm geben, was er braucht.“ (Lk 11, 8)
Evangelium:
Das Gleichnis vom zudringlichen Freund und von der zudringlichen Witwe (Lk 11, 5-8, Lk 18, 1-7)
Ein Lob der Zudringlichkeit! Doch es geht den Zudringlichen hier um eine gerechte Sache: der Freund braucht einen Freundschaftsdienst, die Witwe benötigt ein gerechtes Urteil durch den Richter. Trotzdem ist es unangenehm für den Freund, mitten in der Nacht jemandem einen Gefallen zu tun. Der andere befindet sich in keiner existenziellen Notlage; ihm fehlt nur etwas zu essen für seinen unerwarteten Gast. Es ist allerdings naheliegend, das Fehlende vom Freund zu erbitten, der Gründe hat, den Wunsch zu erfüllen. Die Bitte ist einsichtig, sodass sie unter Freunden sicher erfüllt werden wird. Ein Konflikt könnte nur bei einer Verweigerung der Hilfe entstehen, was zugleich den Bruch der Freundschaft bedeuten würde. Ein Freund, der nicht helfen will, ist kein Freund. Man kann dem Vertrauten ruhig einiges zumuten und sich dessen Hilfsbereitschaft sicher sein.
Die Witwe hat es schwerer, zu ihrem Recht zu kommen. Lange wird sie hingehalten, bis ihre Ausdauer doch siegt. Dabei wird ihr Drängen nie schwächer oder kleinlauter. Im Gegenteil: sie kann wohl an Eindringlichkeit zulegen, sonst würde im Richter nicht die Angst vor einem Eklat wachsen.
Eine christliche Konfliktkultur kann hier mehreres herauslesen. Berechtigten Forderungen ist gemäß der Freundschafts-, Nachbarschafts-, Verwandtschafts-, Berufspflicht nachzukommen. Wo mir gegenüber diese Pflicht vernachlässigt wird, habe ich darauf zu bestehen. Dabei ist das Hinterherlaufen einer arroganten, ignorierenden, vielleicht hochgestellten Persönlichkeit mühsam. Ich darf mich nicht entmutigen lassen, sondern muss diese unbeirrbar immer von neuem drängen, das zu tun, wozu sie eigentlich da ist. Zu hoher Respekt oder Unterwürfigkeit sind nicht angebracht, schon gar nicht gegenüber jemandem, der sich seiner Macht bewusst ist und diese manchmal auch willkürlich verwendet oder verweigert.
Schließlich wird – nicht auf die feine Art – eine öffentliche Ohrfeige in Aussicht gestellt, um der Bitte Nachdruck zu verleihen. Das hat endlich Erfolg. Damit wäre der Richter an einer schwachen Stelle getroffen. Denn sein Ansehen in der Öffentlichkeit würde einen Kratzer erleiden, sogar durch eine kleine unbedeutende Frau.
Hier kann sich eine christliche Konfliktkultur Ermutigung holen, nie von berechtigten Forderungen abzulassen, furchtlos immer wieder Gerechtigkeit zu fordern und ihnen notfalls mit eindrucksvollen Mitteln Nachdruck verleihen. Gott selbst steht hinter dem Recht.
Es ist angemessen, Gott um Kraft und Phantasie zu bitten, wenn man sich für Gerechtigkeit einsetzt.
Dass die Durchsetzung von Recht nicht immer einfach ist, soll an einem Engagement nicht hindern. Da und dort, ab und zu, hilft es, rettet es vielleicht ein Menschenleben und überwindet mit Ausdauer, Hartnäckigkeit und Kompromisslosigkeit auch Mauern der Gleichgültigkeit, der Ablehnung, der Bürokratie und des Zynismus.
Konfliktkultur: Vergessene Vorsorge - Die Rückkehr der unreinen Geister
„...dann geht er und holt sieben andere Geister, die noch schlimmer sind als er selbst. Sie ziehen dort ein und lassen sich nieder. So wird es mit diesem Menschen am Ende schlimmer werden als vorher.“ (Lk 11,26)
Hurra! Jemand ist etwas Negatives losgeworden. Er hat eine störende Gewohnheit abgelegt, eine schlechte Eigenschaft überwunden, eine ungute Fixierung auf etwas fallengelassen (ein Hobby, eine falsche Priorität, eine schlechte Beziehung usw.). Oder eine Gemeinschaft ist jenen losgeworden, der sie blockiert und negativ beeinflusst hat…
Die Bibelstelle erzählt dann weiter, wie dieses negative Element quasi herumirrt und dann wieder an seinem früheren Wirkungsort Nachschau hält. Und hier hat sich nichts verändert, außer dass aufgeräumt und das Haus geschmückt wurde! Das heißt, der Besitzer des Hauses hat sich in der Zwischenzeit um Äußerlichkeiten gekümmert. Er hat nach dem Verschwinden des Negativen nichts an dessen Stelle gesetzt, nichts Neues angefangen, nichts Gutes entwickelt, keinen Gast eingeladen, sich nicht nach einer positiven Wertordnung orientiert usw. …
Oder: Die Gemeinschaft hat sich nicht weiterentwickelt. Sie ist stehengeblieben bei netten, aber unnötigen Dingen. So ist sie wieder angreifbar – und zwar an demselben Punkt wie zuvor. Geblieben ist ein Stück hübsch verzierte Leere, eine Unerfülltheit, die als Vakuum natürlich Platz zur Füllung bietet…
Das Aussehen des Hauses kann wie eine herzliche Einladung an den wirken, der gerade vorbeikommt. So scheint es der unreine Geist in dieser Erzählung aufzufassen. Denn er versteht den Schmuck als Aufforderung für eine spontane Willkommensparty, zu der er selbstverständlich seine Freunde gleicher Art mitbringt. Der Hausherr wird damit überrollt. Er leistet nicht den geringsten Widerstand. Seine Chance zur Abwehr hat er längst vertan. Eigentlich hat er nie etwas unternommen, um die Rückkehr des Negativen zu verhindern. Er fällt in seinen früheren Trott zurück, wird wieder von unschönen Neigungen, Gewohnheiten usw. beherrscht und zwar in noch größerem Maß als zuvor. Natürlich will er das nicht, aber seine Passivität in der Zeit, als er etwas hätte tun können, rächt sich. Mit der Schwäche seines Willens und mit seiner Antriebslosigkeit hat er sich in die Hände derer begeben, die nun ihr Spiel mit ihm treiben können.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur ist diese Bibelstelle eine Warnung, am Punkt eines gelösten Konflikts stehenzubleiben. Es gilt, sofort Neues und Gutes substanziell an die Stelle der überwundenen Schwierigkeiten zu setzen! Selbst wenn nach überstandenen Auseinandersetzungen wenig Kraft bleiben sollte, muss die Zeit und die Chance sofort genützt werden. Kurz darauf könnte es zu spät sein, könnte man von vergangen Geglaubtem eingeholt werden.
Ähnliches gilt für eine Gemeinschaft. Wo sich diese nicht wirklich positiv weiterentwickelt, tauchen alte und neue Schäden in noch größerem Maß auf. Neue Strukturierungen, Reformen, Veränderungen usw. müssen tiefgehend sein. Bleiben sie an der Oberfläche, werden sie in Frustration und Nutzlosigkeiten umschlagen.
Wer einen Weg geistlichen Lebens beginnt, wird mit dieser Bibelstelle eindringlich gewarnt, bei den ersten sichtbaren Erfolgen einer Lebensorientierung nach dem Evangelium zu verweilen. Ohne nächsten Schritt, ohne eine Füllung des entstandenen Freiraums, auf welche Art auch immer, fällt man zurück. Die Enttäuschung darüber ist gefährlich, denn allzu leicht schiebt man die Schuld anderen zu: einem langweiligen Gottesdienst, einem dummen Wort eines kirchlich Engagierten, einer Nicht-Erfüllung eigener Vorstellungen in der Kirche usw. Aber zu den tieferen Fragen des Glaubens kommt es nicht mehr. Sie werden unter der entstandenen Irritierung verschüttet.
Bemühte und Enttäuschte, die einen Schritt einmal zu wenig konsequent gegangen sind, können de facto hinter die Anfänge ihrer Glaubensbeziehung zurückfallen und entfremdet werden. Das mag sich durch negative Früchte zeigen: Kritiksucht, Rechthaberei, Ungeduld, Absolutheitsanspruch für die eigene Meinung, Intoleranz, Unfähigkeit zum Zuhören, Desinteresse an der Feier Gottes und am Evangelium, tendenziöse Wahrnehmung von Ereignissen, Einseitigkeit, Flucht in äußere Fragen usw. Das hat Auswirkungen auf die ganze Gemeinschaft, d.h. auf alle, die gemeinsam unterlassen haben, sich weiterzuentwickeln und in die Tiefe zu gehen. Eine christliche Konfliktkultur muss die Notwendigkeit des nächsten Schrittes zum Wesentlichen vor Augen haben, damit Böses dauerhaft überwunden und Gutes stabil aufgebaut wird.
Konfliktkultur: Planen - Wer einen Turm bauen will, muss auf seine Ressourcen schauen
„Sonst könnte es geschehen, dass er das Fundament gelegt hat, dann aber den Bau nicht fertigstellen kann. Und alle, die es sehen, würden ihn verspotten.“ (Lk 14,29)
Evangelium:
Vor einem Unternehmen erst die Mittel kalkulieren (Lk, 14,28-32)
Dieses Gleichnis sollte nicht zu schnell verstanden werden. Der Bau eines Turmes ist ein klar kalkulierbares Projekt, das durchgeplant werden muss. Nur ein höchst naiver, dummer Mensch würde das nicht tun und logischerweise verdienten Spott ernten.
Jesus sagt nicht, dass die Leute dem Dummen beistehen und dessen Turmbau vollenden sollen. Wer sich eine solche Situation aus freien Stücken eingehandelt hat, soll seine selbst eingebrockte Suppe auch auslöffeln. Schaden hat nur er selbst. Das sinnlos herumstehende Fundament bleibt als Mahnmal der Schande und als Anregung für immer neuen Spott sichtbar bis – im wahrsten Sinne des Wortes – Gras darüber gewachsen ist.
Auf ähnliche Art ist nach Jesu Worten ein König verpflichtet, die Kampfkraft seiner Truppen richtig einzuschätzen und gegebenenfalls in einen – nachteiligen (?) – Frieden einzuwilligen, bevor der Krieg nur noch mehr zerstören kann. Es geht vor dem Beginn eines Unternehmens um möglichst umfassende Überlegungen bezüglich der eigenen Kräfte und Möglichkeiten.
In diesem Sinn könnten beim Beispiel des Königs und seiner halb so großen Armee Umstände vorhanden sein, die ihn doch stärker machen, z.B. Bewaffnung, Motivation, Strategie, Geländevorteil usw. Dann könnte er sich sehr wohl dem anderen entgegenstellen. Wo dies nicht zutrifft, bringt es nichts, gegen einen überlegenen Gegner zu kämpfen. (Dieses Gleichnis ist allerdings keine Empfehlung für ein Verhalten in einem realen Kriegsfall.)
Bei voraussichtlich unüberwindbaren Schwierigkeiten soll man eine Sache bleiben lassen, auch wenn sie noch so interessant und imageträchtig ist.
Diese Anregung kann man im Sinn einer christlichen Konfliktkultur bei Plänen jeder Art bedenken: bei Projekten, beim Streben nach einer Position, usw. Die richtige Kenntnis der eigenen Fähigkeiten und ausreichendes Wissen über eine Beschaffung der notwendigen Mittel ist wesentlich. Genaues Planen ist unumgänglich.
Auch wenn dies nicht immer möglich ist. Manchmal entwickeln sich Dinge, Prozesse laufen ab, ein zweiter Schritt wird erst nach dem ersten klar. Die eigenen Möglichkeiten und Fähigkeiten können entwickelt werden und man kann mit einer übernommenen Aufgabe auch wachsen. – Aber man muss überlegen, ob und inwieweit das realistisch vorstellbar ist.
Konfliktkultur: Sorgen - Von der falschen und der rechten Sorge
„Sorgt euch also nicht um morgen; denn der morgige Tag wird für sich selbst sorgen. Jeder Tag hat genug eigene Plage.“ (Mt 6,34)
Evangelium:
Von der falschen und der rechten Sorge (Mt 6,25-34, Lk 12-32)
„Mensch du bist frei! Du hast Zeit! Du hast ein Leben voll Freude vor dir! Du stehst über den vielen Bindungen und Verstrickungen der alltäglichen Sorgen, denn du lässt die Dinge des Alltags nicht zu Problemen auswachsen! Du weißt dich in den wichtigen Dingen von Gott getragen und kannst dich mit Gelassenheit zweit- und drittrangigen Fragen widmen, wenn sie auf dich zukommen. Nur eines ist wesentlich: zu lieben. Die Liebe baut das Reich Gottes auf. Sie ist Kraft, die allein eine die Menschen achtende, umfassende Gerechtigkeit errichten hilft. In deinen alltäglichen Pflichten kann der Blick frei bleiben für das Schöne und Spielerische der Schöpfung.“
Keine Sorge ändert etwas am Leben selbst, aber man kann in einer Haltung handeln, die sich nicht von Sorgen bestimmen lässt. Das wirklich Wichtige, die wahre Priorität im Leben ist Gott: Er befreit von Kleinmut, Ängstlichkeit und der Angestrengtheit im Alltag. Im Glauben kann man eine Leichtigkeit des Seins verspüren, die selbst in Mühe und Plage tief durchatmen und für das Gute dankbar sein lässt, das wie ein Geschenk aus den Händen Gottes empfangen werden darf.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur wird man sich nicht in Tätigkeiten und Diskussionen verstricken, die nur Kräfte binden, nur mühevolle Perspektiven bieten und sich um Selbstverständlichkeiten oder Trivialitäten drehen, die hochgespielt und zum Reiz-Thema gemacht werden. Wo man sich dem nicht entziehen kann, bleibt die innere Freiheit, Gott an die erste Stelle zu setzen und alles von ihm her zu betrachten.
Vielleicht ist eine daraus resultierende „Sorglosigkeit“ irritierend für jene, die sich in einzelnen Dingen sehr engagieren. Diese Haltung darf nicht mit Geringschätzung oder Gleichgültigkeit verwechselt werden. Sie ist jedoch imstande, den Dingen jene Bedeutung und jenen Wert zukommen zu lassen, der ihnen von Gott her gebührt.
Diese Haltung soll in einer christlichen Konfliktkultur gepflegt werden. Nichts ist letztendlich wichtig außer der Liebe, wobei „Liebe“ nie gegen die nötigen und aufgetragenen Beschäftigungen des Lebens ausgespielt werden kann. Im Gegenteil: Die Liebe durchdringt alles Tun und macht es wertvoller und passender.
In diesem Sin gibt es bei allen erdenkbaren Auseinandersetzungen, Streitfragen und Bemühungen eine klare Priorität für eine christliche Konfliktkultur: Gott. Er wird den Menschen keine Verantwortung abnehmen oder ihnen Leid und Kreuz ersparen. Aber er hilft zu tragen, zu ertragen und durchzuhalten. Und er wird alles zur rechten Zeit geben, was man braucht. Das ist eine Einladung des Vertrauens in die Verheißung Jesu. Ihre Erfüllung ist zugesagt.
Jesus-Beziehungen: In Christus sein
Erfahrt ihr nicht an euch selbst, dass Jesus Christus in euch ist?