Konfliktkultur: Schlechter Rat - "Weiche Satan..."
„Weg mit dir, Satan geh mir aus den Augen! Du willst mich zu Fall bringen; denn du hast nicht das im Sinn, was Gott will, sondern was Menschen wollen.“ (Mt 16,23b)
Evangelium:
Jesus sagt zu Petrus „Satan“ (Mt 16,21-23, Mk 8,31-33)
Petrus kriegt es kalt-warm.
Unmittelbar zuvor erzählen die Evangelisten von der Petrus übertragenen Vorrangstellung (Mt 16,18). Petrus hat erkannt, dass Jesus der Messias ist (Mt 16,16; Mk 8,29; Lk 9,20). Die Worte und Zeichen Jesu waren für ihn der überwältigende Beweis für die einzigartige Sendung Jesu aus Gott. Das ist nun das Fundament, auf dem Jesus die Jünger tiefer und umfassender in sein Geheimnis einweihen will, wozu untrennbar das Kreuz gehört. Die Konflikte mit den Pharisäern können nicht beigelegt werden, nicht einmal durch den Sohn Gottes. Die Feindschaft wird zunächst einen Triumph über die Offenbarung feiern. Das ist kaum begreifbar. Petrus versteht nicht, dass Gott ohnmächtig erscheinen kann, dass Jesus einen schmachvollen Tod erleiden wird. Ehrlich gesagt, das ist wirklich nicht zu verstehen – aber Realität. Gott lässt Grenzen gegenüber seinem Einfluss zu bzw. er verlangt, dass man auf ihn trotz Scheitern gegen alle Hoffnung vertrauensvoll hofft. Petrus ist mit seiner Sorge und mit seinem Rat gegenüber Jesus gut zu verstehen. Er will das Beste für seinen Freund und Meister. Das Kreuz ist darin unvorstellbar.
Es ist absurd, dass diese Worte der Freundschaft nicht im Sinn Gottes sind. Alle Umstände sprechen für die Berechtigung des Rates des Petrus. Dennoch wehrt Jesus hart ab. Jesus muss ein einseitiges Bild zurückweisen, das im Leben des Liebenden das Kreuz nicht wahrhaben will. Es gehört dazu, auch für die ihm Nachfolgenden (vgl. die anschließenden Aufforderungen zur Nachfolge, Mt 16,24-25; Mk 8,34-35; Lk 9,23-24).
Das Engagement für die Liebe beinhaltet das Risiko des Kreuzes. In der Nachfolge Christi mag man sich deshalb hundertfach als Mitleidender und Mitgekreuzigter erfahren (vgl. Röm 6,6; Gal 2,19; Gal 5,24; Gal 6,14). Gottes Wege gehen auch durch die Dunkelheit, durch Abgründe, durch die Schattenseiten der Welt. Petrus kann das noch nicht erkennen. Sein Christus-Bild ist halb. Entgegen seinen Wunschvorstellungen wird nicht die harmonische Entfaltung der Persönlichkeit, der letztendlich strahlende, für alle erkennbare Sieg der Liebe, sowie Erfolg und Ansehen verheißen. (Angesichts der Weltgeschichte wäre dies für die Verlierer der Jahrhunderte Zynismus.) Sondern es geht um die Annahme des ganzen Christus, des ganzen Evangeliums. Das Ausblenden einer Seite, das bloße Wahrnehmen eines Wunschbildes ist eigentlich vom Bösen. Denn es trübt den realistisch-kritischen Blick auf eine Welt voller Ränder und Schatten. Dann sieht man wirklich nur die im Lichte, denn im Dunkeln sieht man eben nicht bzw. man sieht sie nicht wirklich (Bert Brecht).
Eine christliche Konfliktkultur lebt mit dem Skandal des Leides und des Todes von Unschuldigen. Das ist nicht gottgewollt. Was Gott sehr wohl will, ist die Solidarisierung mit diesen „Besiegten“. Hier kann sich niemand hinter ein halbiertes Bild des Glaubens zurückziehen, auch nicht im Namen psychologischer Erkenntnisse einer humanmenschlichen Persönlichkeitsentfaltung. Diese ist natürlich zu befürworten, wobei jede falsch verstandene Leidensmystik, jede einseitige „Theologie des Opfers“ abzulehnen ist. Aber das kann kein Grund für ein Ausweichen vor dem Auftrag Gottes sein. Der Preis der Anpassung an – verständliche – Harmoniewünsche darf hier nicht gezahlt werden. Das Vorziehen der lichten Seiten des Lebens darf die Wahrnehmung der Realität des Dunkeln nicht verdrängen. Eine christliche Konfliktkultur muss tiefer sehen und schärfer auf die Stimme Gottes hören als es rein menschlich angenehm erscheint.
Konfliktkultur: Zwischen Macht und Dienst - Die Versuchungen Jesu
„Dort blieb Jesus vierzig Tage lang und wurde vom Satan in Versuchung geführt. Er lebte bei den wilden Tieren, und die Engel dienten ihm.“ (Mk 1,13)
Evangelium:
Die Versuchung Jesu (Mt 4,1-11, Mk 1,12-13, Lk 4,1-13)
Die Evangelien berichten, wie der Geist Gottes auf Jesus während seiner Taufe herabkommt (Mt 3,13-17; Mk 1,9-11; Lk 3,21-22). Danach wird er vom Teufel in Versuchung geführt. Dieser zeitliche Ablauf ist wesentlich. Er bedeutet, dass der empfangene Geist Versuchungen nicht verhindert, jedoch mag er Kraft und Inspiration geben, diese zu durchschauen und ihnen zu widerstehen.
Von einer anderen Seite betrachtet heißt das, dass eine Taufe bzw. der Empfang des Geistes nicht die Bedingung – oder die Garantie – darstellt, dass jemand gegenüber Verführungen immun wird.
Christliches Leben ist ein Leben mit Irritierungen, die vielleicht dann kommen, wenn man meint, davor gefeit zu sein, etwa nach einer „geistlichen Erfahrung“ oder nachdem etwas Größeres gelungen ist. Darauf macht der Zeitpunkt der Versuchung Jesu aufmerksam. Die Raffinesse des Teufels ist auf ihre Art großartig-abstoßend. Er knüpft an menschliche Grundbedürfnisse, an Frömmigkeit sowie an die Bewunderung der Schöpfung und menschlicher Kulturleistungen an. Alles sieht ja ganz gut aus und niemandem würde ein Schaden zugefügt werden. Die Dinge scheinen harmlos zu sein bzw. sie wären leicht zu verharmlosen, wenn irgendwo doch ein Haken entdeckt wird. Es geht nur um ein bisschen mehr Annehmlichkeit, um einen vermeintlichen Ernstfall von Gottvertrauen und um die Verfügungsmöglichkeit über das Schöne in dieser Welt – zu einem Preis, dessen eigentliche Höhe nicht genannt wird. (Was heißt es konkret, den Teufel anzubeten?) Aber wer würde das hinterfragen, der unbedingt von dem Gezeigten fasziniert sein muss?
Im Einzelnen stellt sich diese Bibelstelle unter dem Gesichtspunkt einer christlichen Konfliktkultur so dar:
Nach dem langen Verzicht auf Nahrung bekommt Jesus Hunger. Er hat ein Grundbedürfnis, das gestillt werden muss. Er bewahrt Ruhe. Der Hunger beherrscht ihn nicht, er hat sich unter Kontrolle. Denn wäre sein Begehren nach Essen jetzt stärker als sein Wille bzw. sein Wissen um seine Möglichkeiten, würde er tatsächlich alles Erdenkbare versuchen, um zu Nahrung zu kommen. Vielleicht könnte er wirklich Steine in Brot verwandeln, aber dann würde er sich Dingen widmen, die nicht seiner Sendung entsprechen. Es geht nicht um das Nächstliegende, Vordergründige, sondern um die Botschaft Gottes, von der nichts ablenken darf.
Hier wird im Sinne einer christlichen Konfliktkultur der rechte Gebrauch der eigenen Möglichkeiten angesprochen, auch angesichts persönlicher Grundbedürfnisse (vgl. Mt 6,25-34; Lk 12,22-31: von der falschen und rechten Sorge). Nach dem Beispiel Jesu kommt zuerst das Wort Gottes, danach die Sorge um die Notwendigkeit der kleinen Lebenswelt, was weder einen Nachrang der eigenen Person hinter etwas „Fremdem“, noch einen Widerspruch bedeutet. Denn das Leben mit all seinen großen und kleinen Seiten ist am besten bei Gott aufgehoben, der alles Nötige – und sogar mehr als das – geben wird (vgl. Mt 7,8: Joh 16,24: „bittet und ihr werdet empfangen“).
In der zweiten Versuchung (nach Matthäus) wird Jesus eingeredet, ein verrücktes Tun wäre ungefährlich, weil Gott seine behütende Begleitung auf jeden Fall zugesagt hat. Das ist eine glatte, aber verschleierte Lüge, besser gesagt: eine Halbwahrheit. Denn der Versucher argumentiert geschickt. Er führt Worte der Heiligen Schrift an. (Er kann auch heute suggerieren: wenn du das und das tust, wird dir nichts geschehen, weil… – und dann kommt schon irgendein Argument). Aber ein Probespringen hat nichts mit der Verkündung der Frohen Botschaft zu tun, nichts mit dem Aufbau des Reiches Gottes. Ein solches Zeichen ist unwichtig, „heilsunwichtig“ und überflüssig. Es bietet nur ein medienwirksames Schauspiel für einen Star, für eine Publikumswette oder für die Verkaufszahlen bzw. Quoten eines Mediums.
Die Argumente werden von Jesus durch ein umfassendes, tieferes Wissen von Gott abgewehrt. Er weiß Texte des Vertrauens (der Versucher zitiert einen Psalm) von einer konkret ganz anderen Situation zu unterscheiden. Gott ist vertrauenswürdig, aber er ist kein Partner für Spielchen.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur sind Aufträge oder Anregungen zu prüfen: Sind sie einseitig? Verdrehen sie mit gekonnten Worten den Willen Gottes? Sind sie suggestiv oder unnötig? Geht es um ein Spektakel oder um ein Zeichen der Liebe?
Die dritte Versuchung ist gewaltig. Wer möchte nicht zumindest ein bisschen herrschen, Durchsetzungsvermögen haben, Macht ausüben, in einer gesicherten und unanfechtbaren Position sein? Doch hier ist Jesu Absage am radikalsten. Das Streben nach Macht um der Macht willen widerspricht seiner Botschaft, die das Dienen bevorzugt (z.B. Mk 10,45; Mt 20,28; Lk 22,26; Mk 10,43 u.a.m.), am deutlichsten. In diese Zurückweisung sind alle Mittel zur Macht inbegriffen. Eine christliche Konfliktkultur steht da vor einer schweren Aufgabe. Deutliche und versteckte, bewusste und unbewusste Machtansprüche sind in der Welt und in der Kirche allgegenwärtig. (Auch ein Dienst kann im Sinn von Machtausübung ausgeführt werden.)
Selten können Machtansprüche so enttarnt werden, wie es Jesus gelingt. Die entscheidende Frage, die sich jeder stellen muss, ist: Was steht in meinem Streben an vorderster Stelle? Welchen Raum nimmt die Liebe ein? Und man kann den Hinweis Jesu, das „Niederwerfen vor Gott“ ruhig wörtlich nehmen. Wieviel Zeit nehme ich mir für die Anbetung Gottes, besonders wenn ich in der Position bin, in der ich tatsächlich Einfluss und Macht habe?
Aber das alles ist keine Garantie, Versuchungen abwehren zu können. Die gibt es nicht. Nicht einmal Jesus blieb dauerhaft davon verschont. Die Evangelien berichten, dass er „eine gewisse Zeit“ Ruhe haben sollte. Eine Überwindung des Bösen „ein für allemal“ ist eine Illusion.
Das Leben fordert ständig Entscheidungen zwischen Gut und Böse, die selten als solche bewusst werden. Die Grundhaltung eines Menschen übernimmt im Alltag die Orientierung für jegliches Handeln. So gilt es, diese immer wieder zu überprüfen und zu pflegen (Gewissenserforschung und Gewissensbildung). Falsche Selbstsicherheit ist niemals angebracht, sondern Wachsamkeit (vgl. z.B. Mt 24,43; Lk 12,39) und Klugheit.
Konfliktkultur: Zwischen Freundschaft und Feigheit - Die Verleugnung durch Petrus
„Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an. Und Petrus erinnerte sich an das, was der Herr zu ihm gesagt hatte: Ehe heute der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ (Lk 22,61)
Evangelium:
Verleugnung durch Petrus (Mt 26,69-75, Mk 14,66-72, Lk 22,55-62, Joh 18,15-18.25-27)
Als Petrus erkennt, dass er Jesus verleugnet hat, beginnt er zu weinen. (Vielsagend ist der kleine Einschub von Lukas, dass Petrus sein Tun durch einen Blick Jesu auf sich erkennt.) Er schämt sich seiner Feigheit, die ganz im Gegensatz zu seiner bisherigen Treue zu Jesus steht. Trotzdem ist und bleibt er der Fels, auf dem die Kirche gebaut werden soll (Mt 16,18).
Es gibt diesen Konflikt infolge einer Untreue gegenüber Jesus – und niemand ist davor gefeit. Vielleicht ist es sogar gut, die eigene Schwachheit einmal zu durchschauen, um sich seiner selbst nie zu sicher zu sein. Seine Kraft schöpft der Christ nicht aus sich selbst, sondern empfängt sie von Gott.
Es ist leicht, hier über Petrus ein Urteil zu haben: Man sollte es aber differenzierter sehen. Immerhin beweist er Verbundenheit und Anhänglichkeit, indem er möglichst nahe zu Jesus will. Das nützt nichts. Vermutlich möchte er etwas Näheres über Jesu Schicksal herausfinden. Es ist nicht in seinem Plan, sich jetzt zu Jesus zu bekennen und Zeugnis abzulegen. Verunsicherung und Angst in einer feindseligen Umgebung sind größer als sein Mut. Es wäre – ehrlich gesagt – nutzlos, sich hier an dieser Stelle zu Jesus zu bekennen und damit womöglich selbst nur verhaftet und getötet zu werden. Das war nicht die Absicht des Petrus – nicht jetzt –, und deshalb ist er auf die Situation nicht gefasst.
Petrus wird angesprochen, ob er zu Jesus gehört, und er reagiert („diplomatisch“), so dass er seinen Plan, Näheres über das weitere Schicksal Jesu herauszufinden, nicht gefährdet. Beim zweiten Krähen des Hahnes erkennt er, dass anderes den Vorrang gehabt hätte; das Bekenntnis zu Jesus, so wie er es sich früher einmal vorgenommen hatte (Lk 22,33, Mk 14,29, Mt 26,33-35).
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur müssen wir mit der eigenen Schwachheit, ja Untreue rechnen. Es kann durchaus ein gutes Anliegen sein, das uns im entscheidenden Moment von noch Wesentlicherem ablenkt. Dann ist Selbsterkenntnis und Reue nötig, nicht das Beharren auf der Verständlichkeit unseres Handelns oder die Berücksichtigung von Entschuldigungsfaktoren. In der Ankündigung der Verleugnung durch Petrus (Mt 26,34; Lk 22,34; Joh 13,38) verlangt Jesus keinen Heroismus, aber er weist auf die Grenze des Apostels und von jedem von uns hin. In diesem Bewusstsein soll ein Engagement für Jesus nicht zu dick aufgetragen und von sich zu überzeugt sein. Die Möglichkeit der Schwäche (einer Sünde) in unvorhergesehenen Situationen ist immer da. Das gilt für alle Mitglieder der Kirche, wo auch immer sie stehen.
Konfliktkultur: Zwischen Loyalität ind Protest - Die Steuerfrage
„Sag uns also: Ist es nach deiner Meinung erlaubt, dem Kaiser Steuern zu zahlen, oder nicht?“ (Mt 22,17)
Jesus geht mit Geld unbefangen um. Er sieht die Notwendigkeiten einer finanziellen Grundlage. Es gibt eine gemeinsame Kassa (die Judas Iskariot verwaltet: Joh 12,6) und es gibt eine Reihe von Wohltätern und Unterstützern. Von diesem Geld wurden wohl die gemeinsamen Ausgaben bestritten bzw. wurde den Armen gegeben (Joh 12,5). In der Begegnung mit Maria, die Jesus in ihrem Haus in Betanien verschwenderisch mit einer teuren Salbe die Füße reinigt (Joh 12,1-11), zeigt Jesus, dass die Liebe Vorrang vor dem Finanziellen hat. Es fällt auf, dass Jesus oft von Geld bzw. vom Vermögen spricht. Das ist ein Thema, das die Leute beschäftigt, und er geht auf deren Lebenswirklichkeit ein. Ihn selbst ereifert das Thema nicht. In der Beobachtung der Menschen, die im Tempel ein Opfer bringen, betrachtet er die Höhe des Geldopfers in Relation zu den Möglichkeiten des jeweiligen Menschen und weiß daher die Haltung höher zu schätzen als die gespendete Geldsumme (Mk 12,41-44; Lk 21,1-4).
Geld ist für Jesus etwas, das zum Leben in der Gesellschaft dazugehört, an das man aber sein Herz nicht hängen soll. Von einer Geringschätzung ist nirgends die Rede. Geld hat seinen Wert, auch wenn es anderem untergeordnet ist, auch wenn es vor allem auf die Haltung des Umgangs damit ankommt.
Ganz in diesem Sinn reagiert Jesus auf die Fragen, wie er zur Tempelsteuer und zur kaiserlichen Steuer steht. Dieses für die Menschen in ihrem Alltag interessante Thema berührt Jesus innerlich nicht. Sinngemäß müsste man seine Antwort so verstehen: Jeder soll genug Geld zur Erfüllung seiner Aufgaben (Familienerhaltung) und zur Einnahme einer gesellschaftlichen Rolle (Anteil am Gemeinwohl) erhalten. Es ist selbstverständlich, dass der Staat finanzielle Mittel für seine öffentlichen Aufgaben braucht. Jesus akzeptiert das, ohne sich besondere Gedanken über möglichen Missbrauch, über Verschwendung oder über falsche Zwecke zu machen. Das ist nirgendwo auszuschließen. Was die Römer betrifft, so wurde deren unterdrückendes Regime finanziert, allerdings auch deren Bauten wie Straßen, Brücken, Häfen, Städte, die Sicherung der Handelswege usw.
Dass der Tempel zu seiner Erhaltung bzw. zur Bezahlung der Angestellten u.ä.m. ebenfalls Geld braucht, ist auch klar. Jesus bezahlt die Tempelsteuer bewusst, indem er sich dieser Vorschrift unterordnet, die ihn im tiefsten Sinn gar nicht betreffen würde. Er akzeptiert sie einerseits, andererseits zeigt er, wie sehr er darüber steht. Die wunderbare Herkunft der Münze, mit der er zahlt, mag ein Hinweis dafür sein, dass man das für solche Zwecke nötige Geld haben soll, ohne Entbehrung zu leiden. Darum bemüht sich heute das ausdifferenzierte Steuer- und Abgabenwesen des Staates bzw. der Kirche. Diese Systeme sind vielfach sozial abgefedert, müssen jedoch ständig überprüft, neuen Gegebenheiten angepasst und dementsprechend verbessert werden.
Eine christliche Konfliktkultur wird sich – angeregt durch das Evangelium – jeglicher Streitereien um‘s Geld möglichst enthalten. Es ist eine Pflicht, seinen Beitrag zu leisten, auch wenn nicht immer das, was ich mir vorstelle, damit geschehen mag. Eine Grundversorgung ist nötig und mitzutragen.
Finanzielle Fragen sind Sachfragen, die auf diesem Hintergrund ohne große Ereiferung zu behandeln sind. Angesichts der Sendung der Christen sind sie nachrangig, gehören aber als Rahmenbedingung dazu. Um Geld muss man sich kümmern, aber entsprechend der Bedeutung, die ihm von Gott her zukommt. Zuerst soll es um das Reich Gottes gehen, um alles andere danach (Mt 6,33; Lk 12,31).
Unangemessen scheint daher der Versuch, den Staat bzw. die Tempelbehörden bzw. die Kirche durch die eigene Steuerleistung zu einer Politik bzw. Verwendung nach eigenen Vorstellungen zu zwingen. Das führt zu Reibereien und Partikularismus. Durch solche Versuche werden Tür und Tor für die großen Geldgeber geöffnet, ihre Einflussnahme zu verstärken. Und man vergisst, dass die eigentliche Finanzgewalt heute wohl längst in noch ganz anderen Händen liegt. Jesus stellt das Steuersystem nicht in Frage.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur muss eine Auseinandersetzung um Finanzen eigentlich als unnötig erscheinen, die im Sinn von Gerechtigkeit allerdings dennoch gefordert ist.
Geld dürfte eigentlich kein Druckmittel sein. Dass mit dem Geld gesellschaftliche und kirchliche Entwicklungen gesteuert werden, ist eine Realität. Bezogen auf das Evangelium geht es dann darum, wie dadurch „Liebe“ gefördert werden kann.
Konfliktkultur: Zwischen alt und neu - Kein neuer Stoff für ein altes Kleid!
„Auch füllt man nicht neuen Wein in alte Schläuche. Sonst reißen die Schläuche, der Wein läuft aus, und die Schläuche sind unbrauchbar. Neuen Wein füllt man in neue Schläuche, dann bleibt beides erhalten.“ (Mt 9,17)
Hier hat ein Weisheitsspruch seinen Platz in der Frohen Botschaft gefunden. Dinge passen nicht unbedingt zusammen, auch wenn sie von der gleichen Art sind. Was mit einem neuen Kleid zu tun wäre ist klar: es anziehen und tragen, so wie es ist. Was aber kann mit einem alten Kleid geschehen, das einen irreparablen Riss hat? Im Haushalt wird dieses Kleid für das verwendet, wozu Stoff noch gut sein kann. Ein altes zerschlissenes Kleid wird nicht mehr getragen, aber verwandelt, wobei es auf die Phantasie für eine Weiterverwendung ankommt, vom Putzfetzen über eine Puppenkleidung bis hin zur Altkleidersammlung.
Schwieriger ist es mit den alten Schläuchen, die nur alten Wein vertragen. Was ist, wenn es keinen alten Wein mehr gibt? Dann sind sie tatsächlich unbrauchbar. Den neuen Wein in diese abzufüllen und auf das Unbrauchbarwerden der Schläuche und das Verschwenden des Weines zu warten, ist unsinnig. Alte Schläuche sind als verbraucht anzusehen. Ob es noch eine andere Verwendungsmöglichkeit gibt, weiß ich nicht.
Natürlich bleibt jeder gern beim Gewohnten (Lk 5,39): „Und niemand, der alten Wein getrunken hat, will neuen, denn er sagt: `Der alte Wein ist besser`“. Der gewohnte Geschmack hält das Neue für schlechter und mag sich sogar dagegen sperren.
Für eine christliche Konfliktkultur heißt das vielleicht: Veränderungen ereignen sich ganzheitlich. Sanfte Anpassung an neue Gegebenheiten ist nur bis zu einem gewissen Grad möglich, wo die Bezeichnung „alt“ und „neu“ noch nicht ganz stimmen. (Auch manches „Neue“ kann sehr alt sein – ohne bewerten zu wollen, was „besser“ sei.)
Wo wirklich „alt“ und „neu“ zusammenkommen, kann es Spannungen bis zum fruchtlosen Zerreißen geben. Eine Anfrage an Personalentscheidungen? Eine Anfrage, ob man Neues will oder ob das Neue doch nur alt sei? Eine Anfrage an die Bereitschaft, vom Alten (und Bewährten) Abschied zu nehmen, weil dessen Zeit vorüber ist, auch wenn sie noch hinausgezögert werden kann? Veränderungen, Reformen und ähnliches müssen wohl ganzheitlich und umfassend sein. Flickwerk nützt nicht viel – nur bis zum nächsten Mal. Wo sich Altes nicht mitverändern kann, werden Risse größer und stellen den Träger des Kleides (d.h. die Beteiligten oder den „Schwächsten“ unter den Beteiligten“) nach einer nicht mehr bestandenen Zerreißprobe einmal fürchterlich bloß. Oder es bleibt ein Museumstück übrig, das vielleicht als geschichtlich wertvoll, kostspielig und ineffizient erhalten wird. Oder es nimmt nur Platz weg und versperrt den Weg für anderes, das gemäß den veränderten Zeichen der Zeit jetzt – neu – notwendig wäre.
Konfliktkultur: Zwischen Gott und Geld - "Man kann nicht zwei Herren dienen..."
„Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.“ (Lk 1,13d)
Evangelium
Zwei Herren dienen (Mt 6,24, Lk 16,13)
Im Leben kann es nur eine oberste Priorität geben. Eine Grundentscheidung ist unausweichlich, wenn man nicht zwischen unterschiedlichen Anforderungen, Wertsystemen und Loyalitäten hin und hergerissen werden will. Mit Gott und dem Mammon nennt Jesus unvereinbare Gegensätze. Mammon ist der Götze des Geldes, der als Identifizierung des Reichtums angebetet wird. Ihm wird in Wort und Tat gedient, wenn jemand als oberstes Lebensziel das Erringen und Vermehren von Vermögen hat. Ein solcher Mensch ist auf Geld fixiert.
Sicherlich bietet Vermögen einiges: eine klare Wertordnung, ein angenehmes Leben, Gleichgesinnte, ein gewisses Maß an gesellschaftlicher Anerkennung usw.
Die Sorge um Geld kann der Lebenswirklichkeit scheinbar näher stehen und reizvoller sein als etwa der Gottes-Dienst und als das Tun des Guten.
Für die gegenseitige Ausschließung zwischen Gott und dem Mammon ist für Jesus auschlaggebend, dass es sich dabei um das entscheidende und tragende Prinzip des Lebens handelt. Dass Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen und entsprechend ihrer Lebensführung auf Gelderwerb angewiesen sind, ist klar. Ebenso ist ein verantwortungsbewusstes Streben nach Sicherung und Mehrung von Wohlstand und Vermögen sinnvoll. Aber das darf nicht das Wichtigste im Leben sein. Es gehört dazu, aber in jener Bedeutung, die ihm von Gott her zukommt.
Der Evangelist Lukas verwendet den krassen Begriff „Sklave“, Sklave des Geldes. Ein Sklave übt nicht nur die verschiedensten Dienste aus, sondern er ist existenziell gebunden und abhängig von seinem Herrn. Er ist unfrei und lebt ganz wie es dem Herrn gefällt. Damit werden die Unterschiede noch deutlicher. Wenn sich ein Mensch unter die Herrschaft Gottes stellt, baut er das Reich der Liebe auf. Für einen innerlich vom Geld Abhängigen sieht das Leben, der Mensch und die Welt ganz anders aus.
In der Widersprüchlichkeit des Lebens gibt es trotz einer Grundentscheidung für Gott immer wieder Situationen, wo ein Tribut an den einen oder anderen Götzen gezollt wird, wo z.B. die Sorge um Geld, um Karriere, um ein Projekt einmal so wichtig wird, dass man Gott vergisst. Die Konsequenzen können weitreichend sein. Das Denken, die Ausrichtung des Willens und des Handelns wird durcheinandergebracht. Danach hinterlässt es Spuren und zieht es Kreise in der Umgebung.
Wer letztendlich Gott als seinen Herrn erwählt hat und dies nicht nachträglich durch sein Handeln revidiert, wird früher oder später zu seiner eigentlichen Berufung zurückkehren und dem Geld wieder seinen angemessenen, untergeordneten Platz im Leben geben.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur geht es um das persönliche Durchhalten der Grundentscheidung, dass Gott Herr in meinem Leben ist, d.h. dass ich mich an ihm orientiere. Das könnte mir an dieser Stelle wieder bewusst werden. Die Herrschaft von anderen Einflüssen auf mein Leben und jeder faule Kompromiss muss zurückgewiesen werden. Denn ich kann nur Diener eines Herrn sein. Wenn es nicht Gott ist, wer dann? Wenn es Gott ist, wie sieht das in diesem Augenblick aus?
Konfliktkultur: Zwischen Vorschrift und Zuneigung
„Während er noch darüber nachdachte, erschien ihm ein Engel des Herrn im Traum und sagte: Josef, Sohn Davids, fürchte dich nicht, Maria als deine Frau zu dir zu nehmen, denn das Kind, das sie erwartet, ist vom Heiligen Geist.“ (Mt 1,20)
Evangelium:
Josef folgt der Eingebung des Engels (Mt 1,18-24; 2,13-15; 2,19-23)
Josef hat große Probleme. Die größte Schwierigkeit scheint zu sein, dass er „gerecht“ ist. Das heißt: Er lebt nach seinem von den gesellschaftlichen Normen und dem Willen Gottes geprägten Gewissen. Und gerade das macht ihn seiner eigenen Situation gegenüber fassungslos. Denn es hindert ihn, die allgemein üblichen Vorschriften und deren „Gerechtigkeit“ zu übernehmen. Irgendwas passt nicht zusammen. Josef merkt, dass in seiner und Marias einzigartigen Lebenssituation etwas anders ist, das daher anders gelöst werden muss.
Was soll er tun? Er ist perplex und irritiert. Seine Lebensplätze sind durchkreuzt. Der einzige Ausweg ist eine Trennung von diesen Plänen und eventuell ein neuer Anfang – ohne Maria? Dabei will Josef so dezent und entgegenkommend wie irgend möglich sein. Es soll weder Streit noch Vorwürfe, die jetzt sowieso nichts bringen würden, noch ein Aufschaukeln des Problems geben. Josef ist zwischen den gesellschaftlichen Erwartungen gespalten: Einerseits bestimmen sie ihn, er will Maria entlassen; andererseits ist seine Zuneigung so stark, dass er entgegen den gesellschaftlichen Spielregeln verschweigen will, was peinlich erscheint und nur Nachteile bringen würde, besonders für Maria. Das zeigt, dass er innerlich schon über diesen, nicht auf die konkreten Menschen in ihrer einmaligen Lebenssituation blickenden Regeln steht.
Der Evangelist, der Josef als „gerecht“ beschreibt, wird diesen Gegensatz einer höheren Gerechtigkeit und der Dominanz von Gesetzen und Vorschriften immer wieder hervorheben. Das Sinnvolle der Gesetze wird nie in Zweifel gezogen, aber zuerst kommt stets der Mensch. Josef handelt danach.
Als verantwortlicher Ehemann und Vater kümmert er sich um seine Familie. Er gibt über Nacht alles auf, um nach Ägypten zu fliehen (Mt 2,13-15). Es bleibt dort ein Leben in der Fremde, vergleichbar mit den vielen Flüchtlingen unserer Tage. Die politischen Veränderungen in der Heimat erlauben eine Heimkehr (Mt 2,19-23) und den Aufbau einer neuen Existenz. Josef kann seinen Beruf ausüben, die Familie lebt endlich in Frieden und Sicherheit in bescheidenen Verhältnissen in Nazaret.
Zwischen Josefs großen Entscheidungen tritt der Engel auf, der das rechte Wort zur rechten Zeit spricht. Eine solche hilfreiche Stimme vernehmen viel eher „Gerechte“ als andere, die vielleicht „gerissen“ sind. Denn dafür braucht es eine Offenheit für Gott. Der Engel spricht deutlich und bestimmt, dennoch ist seine Art nicht konfrontierend oder belehrend. Eher vermittelt er einen Weg zwischen einer sich zum schlechten gewandelten Realität und den verbleibenden Möglichkeiten. So verlieren die herrschenden Umstände ihre Übermacht. Es gibt eine Lösung, die der Situation Rechnung trägt, aber weitsichtiger und größer ist als es auf den ersten Blick möglich erscheinen würde.
Davon wird sich eine christliche Konfliktkultur inspirieren lassen.
Im inneren Ringen um das rechte Handeln entsprechend den gesellschaftlichen Bedingungen und dem Willen Gottes ist der Blick auf die Menschen zu richten. Im Sinne einer souveränen Gerechtigkeit müssen Konfliktlösungen auf dieser Linie liegen. Ein bloßer Protest gegen das Gesetz wäre nutzlos. Als einzelner und persönlich Betroffener wäre Josef mit seiner Familie in der schwächeren Position. Dies wird durch das besondere Eingreifen oder Eingebungen des Heiligen Geistes aufgehoben.
Dass der Heilige Geist hier am Werk war, ist aufgrund der Vertrauenswürdigkeit (und Erwählung) Marias glaubwürdig. Josef zweifelt nicht daran, d.h. er traut dem Heiligen Geist Ungewöhnliches zu, das in sein Leben treten mag.
Ähnliches gilt heute genauso. Ein Außer-Kraft-Setzten von Regeln und Gesetzen muss glaubhaft auf den Heiligen Geist zurückgeführt werden können, der an seinen Früchten (Gal 5,22f) erkennbar ist. Der Heilige Geist ruft nicht einfach zum Widerstand, sondern zu einer menschlichen Lösung unter konkreten Bedingungen. Diese Herausforderungen kann noch einmal alles bisher Überlegte kurzfristig über den Haufen werfen.
Ein weiterer Aspekt ist das Eingreifen des Engels. Eine christliche Konfliktkultur braucht Menschen, die einen Blick für die größeren Pläne und Gedanken Gottes ein Stück weit öffnen. Sie haben die Gabe des Rates, des rechten Wortes zur rechten Zeit und des rechten Stils dem zu Beratenden gegenüber. Mit seiner Botschaft hätte der Engel auch anders, mächtiger auftreten können. Zwar „befiehlt“ er, aber er begründet einleuchtend. Er macht Josef nicht zum Untergebenen oder zum Befehlsempfänger, sondern ruft ihn zur Übernahme seiner Verantwortung auf. Dabei hilft er.
Für die Familien mag noch ein Hinweis hinzugefügt werden. Selbst in der „Heiligen Familie“ mussten Konflikte gelöst werden. Die Vertrauenswürdigkeit der Personen und das Hören auf die Stimme Gottes bilden auch heute einen Rahmen, der Lösungen ermöglicht.