„Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen“ (Lk 6,31)
Evangelium:
Die Goldene Regel (Mt 7,12; Lk 6,31)
Diese Kurzfassung eines christlichen Lebensstils möchte zum Perspektivenwechsel aufrufen. Erwartungen, Wünsche usw. an andere werden damit überprüft, ob bzw. inwieweit ich selbst bereit bin, ihnen nachzukommen. Gerade in Konfliktfällen ist diese Rückbesinnung hilfreich und fordert zu einer Sicht der Gleichwertigkeit auf. Eine noch höhere Sicht wird im Liebesgebot festgehalten (Lev 19,18, Dtn 6,4ff, Mt 22,37-39, Mk 12,29-31, Lk 10,27).
Die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe ist in der Betrachtung einer christlichen Konfliktkultur von entscheidender Bedeutung. Je erfüllter das Herz von Gott ist, je entschiedener ein Mensch für Gott lebt, desto größer wird der Raum für die Liebe zum Nächsten, die doch immer brüchig und konfliktanfällig bleibt. Die Gleichstellung des Nächsten mit der eigenen Person ist realistisch und programmatisch zugleich. Hier kommt niemand zu kurz.
Den Nächsten „mehr“ zu lieben würde zur Verkrampfung und Skrupellosigkeit führen und überfordern. Sich selbst mehr zu lieben würde eine Unterordnung schaffen, die letztlich jedes Verhalten rechtfertigen könnte. Aber die Gleichstellung ermuntert zu einem möglichen Höchstmaß, das allen zugutekommt.
Somit schließt sich der Kreis der Betrachtungen zu einer christlichen Konfliktkultur in seinem alleintragenden Fundament, in der Liebe. Diese ist Basis für jedes christliche Denken, Reden und Tun und somit unabdingbare Voraussetzung für eine christliche Konfliktbewältigung. Dass hier der Mensch an erster Stelle stehen muss, keine Sachfrage, keine Struktur, gehört wesentlich dazu. Das mag manche Konflikte, die auf der Sachebene lösbar erscheinen, komplizierter machen. Aber dadurch werden sie menschlich und christlich.
Konfliktkutlur: Beharrlichkeit - Das Gleichnis vom Sämann
„Auf guten Boden ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort mit gutem und aufrichtigem Herzen hören, daran festhalten und durch ihre Ausdauer Frucht bringen.“ (Lk 8,15)
Evangelium:
Das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1-9. 18-23, Mk 4,1-9. 13-20, Lk 8,4-8. 11-15)
Eigentlich ist es müßig, dieses so bekannte Gleichnis im Sinn einer christlichen Konfliktkultur zu betrachten. Die Bedeutung ist klar und lässt keine Frage offen: Jesus selbst erläutert sein Beispiel, das zum christlichen Allgemeinwissen gehört. So sei diese Stelle der Frohen Botschaft dem Leser / der Leserin zur neuen Betrachtung übergeben, wobei ein paar Hinweise „anderer Art“ hinzugefügt werden sollen.
Das Verschwenderische des Säens spielt keine konfliktträchtige Rolle. Es gibt genug Samen, sodass es auf eine genau gezielte Verteilung nicht ankommt. Es herrscht keine Bestürzung, dass nicht überall Frucht wächst. Das ist zwar bedauerlich, wird aber im Gesamten gesehen bei weitem durch die tatsächlich aufgegangene Saat ausgeglichen.
Der Boden soll gut sein. Eine Verkündigung an manche Menschen wird sogar entgegen den Erwartungen und dem ersten Anschein fruchtlos bleiben, wenn die Erde nicht vorbereitet wurde. Da drängt sich eine Frage auf: Wie könnte man aus einem Stück Weg, aus einem Ort des Gestrüpps, aus felsigem Boden ein Stück Acker gewinnen? Zwar ist es müßig, seine Bemühungen hauptsächlich darauf zu richten, aber eine Überlegung ist dieser Gedanke wert. Was zählt, ist das Feld, das Frucht trägt.
Wer trotz seiner großzügigen und verschwenderischen Art der Weitergabe der Frohen Botschaft nicht zu viel erwartet, kann gelassen und vertrauensvoll der Ernte entgegenblicken, die ihn immer wieder überraschen wird. Es gibt diesen vielfachen Lohn der Mühe, der schon die Arbeit mit Vorfreude tun lässt. Manchmal stimmt für den Sämann und die Saat einfach alles. Das lädt zu Dank und Jubel ein.
Daher wird eine christliche Konfliktkultur das Gute und Erfreuliche sehen und in diesem größeren Umfeld die vorhandenen Konflikte, Schwierigkeiten und Misserfolge einordnen können. Der Blick auf das reife Feld zeigt den Sinn des Tuns, schenkt Erfolgserlebnisse und Trost. Auch das tragende Feld des benachbarten Sämanns ist schön. Überall wächst das Gute in viel größerem Maß als es je unter schlechten Umständen verhindert werden könnte. Letztlich kommt der Samen von Gott, der auch das Wachstum, die Reife und die Ernte gewährt für das Leben der Menschen und zu ihrem Heil.
Konfliktkultur: Pflichterfüllung - Das Gleichnis vom unnützen Sklaven
„So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.“ (Lk 17,19)
Evangelium:
Das Gleichnis vom unnützen Sklaven (Lk 17,7-10)
Diesem Gleichnis liegt eine klare Rollenbeschreibung zugrunde. Der Sklave hat seine Arbeit zu tun und zuerst an den Herrn zu denken. Das ist seine Aufgabe, dafür ist er da. Eine Wertschätzung des Sklaven über Gebühr ist nicht vorgesehen, dann wäre es nicht in der zugeschriebenen Rolle. Es sind Grenzen einzuhalten. Das eventuelle Verlangen des Sklaven nach Zuneigung, Dank oder einer anderen Rolle wäre unangemessen, weil er eben ein Sklave ist und sein Dienst eine Selbstverständlichkeit darstellt (vgl. 1 Kor 7,21).
Diese gesellschaftliche Spielregel gilt auch innerkirchlich. Aber da tauchen Schwierigkeiten mit dieser Bibelstelle auf. Es fällt schwer, sich in rechter Weise in die Rolle des Sklaven hineinzudenken. Denn erstens fühlt man sich nicht als Sklave, sondern viel eher als „Freund“, als „Kind“, als „Mitarbeiter“, als „Erbe“, eventuell sogar als „Partner Gottes“. Zweitens ist das christliche Engagement nicht mit einer Sklavenarbeit vergleichbar, für die man nicht einmal Dank erwarten dürfte (besonders gilt das für Ehrenamtliche). Die Kultur des Dankens ist zwar unterschiedlich verbreitet – manchmal fehlt sie komplett, ein andermal wird sie übertrieben –, aber Jesus legt keinen Wert auf einen Dank für „Selbstverständliches“.
Und das ist die dritte Schwierigkeit. Christliches Engagement möchte oft etwas Besonderes sein (wie allgemeingesellschaftlich alles etwas Besonderes sein soll). Diesen Einsatz als bloße „Pflicht“ zu betrachten, mit der Gefahr, dass man ausgenützt wird, und ich anderen als „Trottel von Dienst“ erscheine, widerspricht dem Lebensgefühl und dem Selbstbild.
Dennoch sind die ernüchternden Worte Jesu wegweisend. In den vielen Bildern der Beziehung zu Gott kann das Sklave-Sein nicht gelöscht werden (vgl. z.B. Mt 10,27; Mk 10,44; Lk 17,10; Röm 6,6, 1 Kor 7,22; 9,19; Eph 6,6; Phil 2,7; 1 Petr 2,18-25). Dies mag nichts anderes heißen als: Ich anerkenne Gott uneingeschränkt als meinen Herrn. Es ist eine freiwillig gewollte existenzielle Bezogenheit auf ihn, von dem ich alles erwarte und erhoffe.
Das mit dem Dank ist eine überlegenswerte Sache. Wo er mehr als Rhetorik sein soll, ist er die Antwort auf eine erfüllte Bitte oder eine ungeschuldete Wohltat. Im Verhältnis zu Gott ist es der Mensch, der zu begründetem Dank aufgerufen ist. Unter Menschen ist Dank etwa am Arbeitslatz angebracht, wenn eine Leistung bzw. ein Engagement über das Geforderte hinausgeht. Aber der Sklave wird diese Arbeit als geschuldet betrachten. Es wäre unangemessen, wenn er für ein Tun Dank erwarten würde, sogar wenn dieses Tun von besonderer Qualität war. Man soll keinen Dank erwarten – das heißt nicht, dass Anerkennung überhaupt fehlen dürfte. Aber diese geschieht anders, z.B. durch Vertrauen, Umgangsformen, Lohn, Feier, Betriebsklima usw.
Ein nicht ausgesprochenes „Danke“, das die einen für wichtig, die anderen für unwichtig betrachten, bedeutet keinen Undank. Es ist hilfreich, dies im Sinn einer christlichen Konfliktkultur wahrzunehmen und sich nicht vorschnell über jenen aufzuregen, dessen Aufmerksamkeit wenig ausgeprägt ist.
„Man tut nur seine Schuldigkeit.“ Wieviel Hochherzigkeit und welches Übermaß an Hilfsbereitschaft kann hinter diesem bescheidenen Satz stecken! Hier sind Menschen, die zuverlässig und umsichtig ihre Aufgabe als Christen an allen Orten erfüllen und daher, wie selbstverständlich, etwas von Gott erfahrbar machen. Sie tun es in dem Bewusstsein, etwas Geschuldetes zu geben, weil sie sich als Empfangende wissen.
Geschuldet wird Liebe (Röm 13,8), die Anerkennung der menschlichen Würde jedes Mitmenschen, Dank an Gott, eine Lebensgestaltung entsprechend dem Willen Gottes und gelebte Mitmenschlichkeit. Wer dafür besonderen Dank erwartet, ist ein bisschen kleinlich, denn all dies gehört zum Leben selbst, das ein Geschenk ist. Es ist viel einfacher, in der Liebe zu sein und sie weiterzugeben, als darüber zu reflektieren und sich gewünschte Belohnungen und Danksagungen vorzustellen. Das würde nur Selbstverständliches verkomplizieren.
Der Rahmen ist vorgegeben, viele Lebensbedingungen sind unverrückbar. In ihnen gilt es, sich zu entfalten gemäß dem von Gott zugewiesenen und verstandenen Platz in der Weltgeschichte.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur ist diese Bibelstelle ein Aufruf, das Leben zu nehmen, wie es ist, nichts Unangemessenes und kein Verwöhnen zu verlangen, sondern in Treue in den kleinen Dingen das Nötige zu tun. Gott wird das nicht bloß zur Kenntnis nehmen, sondern er wird die entsprechende Anerkennung – ein anderes Mal – im Übermaß schenken. Das ist ihm zuzutrauen.
Konfliktkultur: Eindeutigkeit - "Euer Ja sei ein Ja..."
„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ (Mt 5,37)
Evangelium:
Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein (Mt 5,37)
Für jeden ist offensichtlich, wie viele Konflikte aus einer Nichtbeachtung dieser Worte resultieren. Die Sprache ist eine Dimension des Mensch-Seins. Sie ist das erste und differenzierteste Medium der Verständigung. Sie kann nicht alles, aber sehr vieles fassen und vermitteln.
Der Umgang mit der Sprache ist für einen Menschen nicht nur ein Lebensbereich unter anderen, denn darin drückt sich ein Stück Persönlichkeit und Identität aus. Sprache schafft Atmosphäre, Verbindung und Gemeinsamkeit, aber auch Verwirrung, Distanz und Feindschaft. Man könnte sagen, der Mensch hat nicht nur Sprache, er ist Sprache. Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Treue, jede zwischenmenschliche Dimension hat viel mit Sprache zu tun. Umso wesentlicher ist ihre Wahrhaftigkeit für das Gelingen jeglicher Beziehung und jeglicher Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Wo die Sprache verwirrt wird, hört Verständigung und Zusammenhalt auf (vgl. Gen 11,7, Turmbau zu Babel). Die Lüge zerstört das Vertrauen und zerbricht die Basis der Verständigung. Rhetorische Floskeln schaffen eine Scheinwirklichkeit, die keine Substanz hat. Das ist jedem bewusst, dennoch wird Missbrauch mit der geforderten Wahrhaftigkeit der Sprache getrieben und dessen negative Folgen in Kauf genommen.
Es gibt ein Reden in unterschiedlichen Stufen der Zuverlässigkeit. Warum? Geschieht dies, weil vorschnell Dinge gesagt werden, die später zurückgenommen oder revidiert werden müssen? Werden Meinungen und Positionen rasch gewechselt? Spricht man in je anderen Milieus so angepasst, dass man seine Worte an unterschiedlichen Orten wegen eventueller Vorteile oder der Vermeidung von Nachteilen verändert bzw. verleugnet?
Dieses „Ja ist Ja und Nein ist Nein“ verlangt doch einiges, das nicht einfach ist. Vor dem Reden ist Nachdenken gefordert, damit man eine Überzeugung und einen Standpunkt einnehmen kann, der nicht auf momentaner Laune, einer Beeinflussung oder auf dem bloßen Augenschein beruht. Standfestigkeit ist nötig, um sich nicht wie ein Blatt im Wind der gerade gängigen Meinung anzupassen, die zu Vorherigem oder Nachfolgendem in Widerspruch steht. Aber ein Verschleiern der Sprache gilt nicht, ein „Vielleicht“, ein Anknüpfen an Bedingungen („wenn…“) ist im zwischenmenschlichen Bereich unangemessen.
Freilich gibt es Sachfragen, Verträge usw., die differenziert beurteilt und von mehreren Seiten betrachtet werden müssen, sodass es manchmal keine eindeutige Positionierung geben kann. Aber die nach reiflicher Überlegung gewonnene Überzeugung soll tragfähig sein.
Für eine christliche Konfliktkultur ist der Auftrag zur Wahrhaftigkeit und Eindeutigkeit evident. In konkreten Situationen muss man sich dazu manchmal erst durchringen. Eine Verdrehung der Worte wäre einfacher, konfliktvermeidender, politisch klüger, baut jedoch nichts auf. Nur die Zuverlässigkeit der Sprache und die Übereinstimmung von Reden und Handeln errichtet eine verlässliche Basis für das mitmenschliche Zusammensein. Die Menschen brauchen keine Instanzen, die es nach eigenem Ermessen mit der Wahrhaftigkeit nicht so genau nehmen. Sie brauchen Zeugen, die zu dem stehen, was sie sagen.
Konfliktkultur: Barmherzigkeit - Jesus und die Ehebrecherin
„Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11b)
Evangelium:
Jesus und die Ehebrecherin (Joh 8, 1-11)
Die Heilung eines Blinden (Joh 9,1-12. 35-41)
Etwa in der Mitte dieser Bibelstelle steht der Satz (Joh 8, 7b) „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“. Die Situation insgesamt ist vielschichtig. Den Pharisäern geht es nicht um die Lösung eines Gerichtsverfahrens, sondern um eine Probe für Jesus. Spricht er die Sünderin frei, verstößt er gegen das Gesetz, verurteilt er sie, widerspricht er seinem Anspruch, über dem Gesetz zu stehen.
Man könnte Jesu Gelassenheit, Unbeirrbarkeit und Schlagfertigkeit bewundern. Sein Schreiben in der Erde ist etwas rätselhaft, wirkt aber wie eine gekonnte, dramaturgische Eingebung, über die sich jeder Regisseur freuen würde.
Es gibt eine zweite Szene, in der Jesus die Finger in die Erde taucht. Anschließend heilt er einen Blinden (Joh 9, 1-12), der dadurch zum Glauben an ihn kommt (Joh 9, 35-41). Wenn man hier einen Zusammenhang sieht, erscheint die Episode mit der Ehebrecherin wie eine Vorbereitung auf die genannte zweite Szene. Jedes Mal dreht Jesus die Rollen um. Die verurteilte Frau, der ausgestoßene (Joh 9,34), geheilte Blinde werden sehend, in einem realen und in einem tieferen Sinn bzw. sie haben die Chance dazu. Was ihnen widerfährt, öffnet die Tür zu einem neuen Leben und zum Glauben. Die Ankläger hingegen sehen sich plötzlich selbst als Schuldige bzw. als Beschuldigte. Ziehen sie zuerst noch beschämt die Konsequenzen (oder verschwinden sie aus Ärger über die missglückte Falle?), so werden sie später deutlicher mit Jesu Vorwurf der Blindheit konfrontiert. Das wollen sie nicht verstehen. Mit dieser Wahrnehmungsverweigerung werden sie für ihre Blindheit verantwortlich. Somit entschuldigt sie nichts mehr und ihre Sünde bleibt.
Wie das Leben der Ehebrecherin bzw. des Geheilten weitergeht, erfahren wir nicht. Haben sie den Neuanfang durchgehalten und die Sünde gemieden? Sind sie in die alten Fehler oder in eine matte Durchschnittlichkeit zurückgefallen? In der Stunde der Begegnung mit Jesus wird ihnen ihr Leben neu in die Hand gegeben. Es liegt an ihnen, das Beste daraus zu machen.
Eine christliche Konfliktkultur mahnt zur Auseinandersetzung mit sich selbst, um die eigenen Sünden und die eigenen blinden Flecken wahrzunehmen. Die Kriterien des Gesetzes erweisen sich als mangelhaft, nicht zuletzt, da ihre Handhabung vorurteilsbehafteten Menschen obliegt. Daher möge man bei gesetzlichen Regelungen gut deren konkrete Anwendung überlegen. Sie sollen im Sinn Gottes nicht zum Tod oder zum Ausschuss führen, sondern zum Leben, zur Versöhnung, zum Neuanfang. Das ist ihr Sinn, der ihnen immer neu gegeben werden muss.
In der Souveränität über das Gesetz zeigt sich Jesu Vollmacht. Er hebt kein Gesetz auf (Mt 5,17), aber er muss in Anwendung und Durchführung vom Willen Gottes durchdrungen sein, da dieser der tiefste Grund jeder menschlichen Ordnung sein soll. In diesem Zusammenhang stehen die zahlreichen Auseinandersetzungen zum Thema Gesetz.
Schlimmer als eine schwere Sünde ist die Haltung der Blindheit, die eine Umkehr praktisch unmöglich macht. Hier stößt Jesus an seine Grenzen.
Eine christliche Konfliktkultur muss damit rechnen, dass Betriebsblindheit, Vorschriftsgehorsam u.ä. menschengerechte Lösungen verhindern.
Ab und zu gibt es jedoch Einsicht (Joh 8,9), es wird mit dem Maß der Menschlichkeit gemessen und es gelingt, jemanden voll und ganz in die Gemeinschaft zu integrieren. Ein anderes Mal bleibt jemand ausgestoßen und muss sein neues Leben als Außenseiter führen. Ihn mag der gefundene Glaube stärken und es ist zu erwarten, dass ihn dieser mit anderen Glaubenden zu einer neuen Gemeinschaft zusammenführen wird. Sicherlich wird eine christliche Konfliktkultur nicht verurteilen und das Steine-Werfen unterlassen. Es geht um eine Hilfe für Menschen, was manchmal Konflikte herausfordert.
Konfliktkultur: Verweigerte Vergebung - Das Gleichnis vom unbarmherzigen Samariter
„Hättest nicht auch du mit jenem, der gemeinsam mit dir in meinem Dienst steht, Erbarmen haben müssen, so wie ich mit dir Erbarmen hatte?“ (Mt 18,33)
Evangelium:
Pflicht zur Vergebung (Mt 18,21-22, Lk 17,4)
Gottes Bereitschaft zur Vergebung ist grenzenlos. Aber er erwartet dieselbe Haltung von allen, die „in seinem Dienst“ stehen, d.h. von denen, die nach dem Evangelium leben wollen. Kleinliches Aufrechnen von Schuld – angesichts Gottes großzügiger Vergebung – ist ein Widerspruch (vgl. Mt 7,3: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?“)!
Eine christliche Konfliktkultur erinnert hier zunächst an die eigene Schuld. Sie mahnt, diese zu erkennen, zu bereuen und dankbar über deren Vergebung zu sein. Das setzt die Sensibilität und die Erfahrung bezüglich einer „unverdienten“ Versöhnung voraus. Dann kann dies tatsächlich als Geschenk und als Befreiung erlebt werden.
Es ist möglich, trotz einer geschenkten Vergebung im Innersten davon unberührt zu bleiben. Man ist zwar dankbar und erfreut, aber nicht ergriffen. Und damit kann aus dieser Verzeihung, die nicht wirklich „erfahren“ wurde, nichts weitergegeben werden. Dies scheint bei dem unbarmherzigen Schuldner in diesem Gleichnis der Fall zu sein. Man hat nachträglich den Eindruck, dass sich dieser Mann eigentlich nur recht gut aus der Affäre gezogen hat, vielleicht sogar die Güte des Herrn berechnend.
Die beiden Schuldner stehen in enger Verbindung zueinander. Das macht das Verhalten des Unbarmherzigen noch skandalöser. Denn er sollte wissen, dass der andere vor dem Herrn in gleichem Maß anerkannt, ja geliebt wird. Somit ist sein Handeln nicht nur kleinlich, sondern missachtet zugleich den leicht zu erkennenden Willen des Herrn.
Zur Rechenschaft gezogen wären noch Ausreden denkbar, von denen das Evangelium nichts berichtet. Aber man kann sich ein „Das war mir nicht so bewusst“, „Das hat mir niemand gesagt“, „Ich habe doch verlangt, was mir zusteht“ durchaus vorstellen, was neben egoistischem Denken, Rücksichtlosigkeit und Engstirnigkeit auch Dummheit offenbaren würde. Solche Handlungen sind im Dienst des Herrn deplatziert.
So ist die „Entfernung“ des unbarmherzigen Schuldners nur konsequent. Seine drastische Strafe entspricht dem, was er selbst mit dem anderen getan hat (vgl. Mt 7,2b: „…nach dem Maß, mit dem ihr messt und zuteilt, wird euch auch zugeteilt werden“).
Ein kleinliches Nachtragen von Schuld, ein stures Vorhalten von Fehlern und Unvollkommenheiten, ein Herumreiten auf den Schwächen bedeutet: Ein Mensch, der solches tut, hat nichts in einer Gemeinschaft von Christen verloren. Er missachtet eine der Grundregeln im Zusammenleben von Christen, wie sie nach Matthäus im gesamten 18. Kapitel überliefert werden. Eine christliche Konfliktkultur macht hier die ganze Tragweite der ständigen Bereitschaft zur Versöhnung – angesichts der Vergebung von Gott – bewusst. Wer das nur rhetorisch akzeptiert und nicht wirklich innerlich mitvollzieht, stellt sich mit seiner Härte selbst ins Abseits. Wem es nur um Forderungen an andere geht (wie berechtigt sie sein mögen), und wer dabei deren Relativität nicht wahrhaben will, widerspricht dem Geist des Evangeliums. Denn in dessen Sinn ist man einander die Liebe schuldig (vgl. Röm 13,8). Mit der Bereitschaft zur Vergebung wird das Herz des Christen offen und groß für alle, auch für jene, die an ihm schuldig geworden sind.
Konfliktkultur: Pflicht zur Vergebung - Wie oft soll man vergeben?
„Und wenn er sich siebenmal am Tag gegen dich versündigt und siebenmal wieder zu dir kommt und sagt: Ich will mich ändern!, so sollst du ihm vergeben.“ (Lk 17,4)
Evangelium:
Die Pflicht zur Vergebung (Mt 18,21-22, Lk 17,3-4)
Hier kann eine Betrachtung im Sinn christlicher Konfliktkultur kurz sein: Der Gläubige soll bereitwillig, grenzenlos und immer vergeben.
Bei Matthäus ist dazu nicht einmal ein Bekenntnis, Reue oder ein Vorsatz zur Besserung notwendig. Bei Lukas soll man die rhetorische Floskel eines anderen, er werde sich bessern, unbeirrbar wohlwollend zur Kenntnis nehmen, obwohl dies in seiner Oberflächlichkeit noch einmal mehr auf die Nerven gehen kann.
Interessant ist die heute ungebräuchliche Sprachform: „Jemand hat sich gegen mich versündigt.“ Was heißt das? Was kann konkret gemeint sein? Schon in der Zeit der Evangelisten ist dieser Ausdruck eine Verallgemeinerung, die verschiedene Erfahrungen zusammenfasst und ein Stück weit abstrahiert. Vieles kann darin beinhaltet sein.
Das setzt ein Nachdenken über das Geschehene voraus: Ich mache mir die Situation mit all ihren Umständen bewusst und denke das Verhalten des anderen durch; ich komme zu einem enttäuschenden Ergebnis: Er hat etwas Schlechtes gegen mich getan.
Nach Matthäus muss ihm dies nicht einmal auffallen. Es gibt tatsächlich ein Schuldig-Werden an anderen, das nicht beabsichtigt ist, das gar nicht bemerkt wird. Eine kleine Rücksichtslosigkeit kann in Unaufmerksamkeit geschehen, aber doch verletzen. Da dies sicher ein Tun gegen den Willen Gottes ist, kommt so einer objektiv gesehenen „Kleinigkeit“ die Beschreibung „Sünde“ zu. Eine Zurechtweisung kann wegen dem geringen Gewicht der Handlung sogar ohne Vorwurf erfolgen. Man stellt nur klar (u.U. mit Humor) und hilft dem anderen, das nächste Mal aufmerksamer, rücksichtsvoller zu sein. Geht er darauf ein – gut, dann hilft das weiter. Kann er seinen Fehler nicht einsehen bzw. berührt ihn das nicht, so mögen seine leeren Vorsätze als äußeres Zeichen guten Willens gelten, das innerlich nicht mitvollzogen wird. Immerhin zeigt es, dass grundsätzlich eine Verbundenheit besteht und aufrecht bleiben soll, obwohl man über die Nutzlosigkeit von Gesprächen irritiert sein wird. Auf einem gemeinsamen Fundament des Glaubens bzw. der Überzeugung ist das trotzdem verkraftbar – und verzeihbar.
Eine christliche Konfliktkultur braucht ab und zu Abstand von einer konkreten Situation. Wenn man in diese verstrickt bleibt und nur unmittelbar und direkt reagiert, übersieht man Lösungen, die auf anderen Ebenen liegen. Distanz hilft, ebenso die Fähigkeit, das erlebte Tun sprachlich einordnen zu können: z.B. als „Sünde“, wobei es um keine rhetorische Hochstilisierung oder Spiritualisierung geht. Mit der Formel „jemand hat gegen mich gesündigt“ wird die erfahrene (subjektive) Wirklichkeit vor Gott hingetragen und betrachtet. Gott wird in den Konflikt eingeschaltet und kann seine Antwort durch das Beispiel und die Worte Jesu vermitteln.
Das ergibt eine Chance für eine christliche Konfliktkultur: In der Deutung konfliktträchtiger Erfahrungen vor Gott wird mir die eigene oder fremde Schuld klarer. Entsprechend meinen Beobachtungen kann ich dann eine Konfliktlösung in mir, im Gespräch mit anderen, im eigenen Handeln beginnen, wie es eben angemessen ist.
Bei Erkenntnis eigener Schuld schlüpfe ich in dieser Bibelstelle in die Rolle des „Bruders, der sich versündigt hat“ und dem Vergebung und neue Annahme verheißen ist.
Wurde ein anderer an mir schuldig, so mag mir zum großzügigen Verzeihen das Beispiel Jesu auch an anderen Stellen vor Augen stehen, wo es um größere Dinge geht, als um solche, wie ich sie erfahren habe (z.B. Vergebung Jesu am Kreuz, Lk 23,34).
In einer solchen Haltung können wir den gemeinsamen Weg weitergehen. Die damit zu überwindende „Sünde“ wird uns trotz ihrer Belastung nicht auseinanderdividieren.