Konfliktkultur: Durchhalten - Vom Höhepunkt der Not
„Und ihr werdet um meines Namens willen von allen gehasst werden; wer aber bis zum Ende standhaft bleibt, der wird gerettet.“ (Mk 13,13)
Evangelium:
Vom Höhepunkt der Not (Mt 10,17-22; 24,6-14, Mk 13,7-13, Lk 21,12-19)
Was Jesus hier in seiner Rede über die Endzeit (Mk 13, Mt 24-25, Lk 21,5-36)
voraussagt, ist alles andere als erfreulich. Erschrocken und gefasst im Hinblick auf die bevorstehenden Ereignisse bleibt den Jüngern nur, wachsam zu sein, und die Entwicklung der Dinge trotz aller Wirrnisse recht zu verstehen. In ihrem Innersten sollen sie ruhig bleiben. Nichts kann so dramatisch sein, dass es nicht noch einmal von Gott getragen wäre, was sich spätestens am Ende zeigen wird. Dann werden alle gerettet, die für Christus durchgehalten haben.
Im skizzierten Katastrophenszenario wirkt die Vorstellung einer gesellschaftlichen Verwirrung und einer Konfusion dessen, was „recht“ ist, äußerst realistisch und erinnert an einen geistigen Zerfall aufgrund einer Absolutsetzung des Pluralismus, bei dem auch Grundwerte preisgegeben werden. Vermutlich werden in einer solchen Situation nicht nur Christen verfolgt, sondern alle, die nicht im herrschenden Strom geistiger Verwirrung mitschwimmen. Wer sich dagegen als wachsam erweist, muss mit allem rechnen. Er hat aber einen kleinen Vorsprung, um den Ereignissen zumindest innerlich zu begegnen.
Der Verfolgungsgrund gegen die Christen ist die Zugehörigkeit zu Jesus Christus in Wort und Tat. Unter dieser Voraussetzung wird das Leben zu einem einzigen Zeugnis, das vom Heiligen Geist durchdrungen ist. Nichts anderes zählt mehr, keine menschliche Unzulänglichkeit, keine Debatte über Sach- und Strukturfragen oder über unterschiedliche „Kirchenbilder“, sondern einzig die Gemeinschaft mit Jesus.
Der Ertrag dieser Bibelstelle für eine christliche Konfliktkultur ist vielschichtig. Zunächst geht es um eine innere Vorbereitung auf mögliche wirre Zeiten. Weltweit gesehen finden diese derzeit – wie in jeder geschichtlichen Epoche – an mehreren Orten statt. In Mitteleuropa herrscht dagegen relative Ruhe. (Man lasse sich nicht durch beunruhigende Meldungen beunruhigen, diese gibt es immer.) Trotzdem ist Wachsamkeit angesagt, denn wie schnell eine gesellschaftlich ausbalancierte Situation kippen kann, hält uns die Zeitgeschichte eindringlich vor Augen. Niemand wird in der nächsten Zeit in den deutschsprachigen Ländern mit einem Chaos rechnen, aber bestimmte vorhersehbare Entwicklungen sind beunruhigend (Arbeitslosigkeit, Rassismus, Gewaltbereitschaft, Klimawandel) und unvorhersehbare Ereignisse von außen sind nie gänzlich ausgeschlossen (etwa das Szenario einer Völkerwanderung aus dem Osten oder aus der Dritten Welt).
Zwei tröstende Worte vermittelt Jesus in dieser Vorstellung eines gesellschaftlichen Super-Gaus, der sogar die bittersten Erfahrungen eines Verrates innerhalb der Familie skizziert. Einmal ist da die Verheißung der Hilfe durch den Heiligen Geist in entscheidenden Situationen. Die menschliche Voraussicht wird abgelöst von der göttlichen Führung. Ob das die Richter beeindruckt, bleibt offen, aber jedes Wort, das von Gott durch einen Christen gesprochen wird, hat seinen Wert und seine Wirkung, die über diese Erde hinausgehen.
Weiters ist die Verheißung der Rettung am Ende tröstend. Sie ereignet sich, wenn – rein menschlich gesehen – alles aussichtslos ist. Die Erfahrung von Hass von allen Seiten aufgrund eines religiösen Bekenntnisses, das seine Anhänger doch zum Tun des Guten auffordert, ist unvorstellbar, aber trotzdem an verschiedenen Orten der Erde bitterste Realität.
Der Trost Jesu für das Ende ist zugleich ein innerweltlicher Auftrag, als Christ zur Rettung jener Menschen beizutragen, die in einem gesellschaftlichen und politischen Chaos unter die Räder kommen. Hier weiß sich eine politische bzw. caritative Aktion für Verfolgte und Diskriminierte christlich motiviert. Und eine christliche Konfliktkultur kann einer Auseinandersetzung nicht aus dem Weg gehen.
Noch ein Aspekt klingt an, mit dem aus christlicher Sicht zu rechnen ist: Das Verhältnis zur Welt wird an dieser Stelle als radikaler Gegensatz beschrieben. Sicher ist der erste Auftrag, die Welt zu retten (Joh 3, 17), aber eine Ablehnung ist denkbar (Joh 1,11 u.a.). Es wäre einfach, diesen Gedanken in Schwarz-Weiß-Malerei einleuchtend weiterzuführen. Aber die Wirklichkeit ist anderes, differenzierter. Das Ziehen von Grenzlinien ist problematisch, da diese auch in der eigenen Persönlichkeit durcheinanderlaufen und nicht mehr erkannt werden können.
Die Welt ist gut (Gen 1,31), sie trägt Gottes Spuren und sie ist der Boden der Heilsgeschichte. Jeder Mensch hat in sich ein Stück der Wirklichkeit Gottes und kann in seinem Gewissen Gottes Stimme wahrnehmen. Aber dieses Verhältnis zu Gott ist gebrochen und bringt somit auch Früchte der Gottesferne, der Gottesanlehnung hervor: Unzucht, Unsittlichkeit, ausschweifendes Leben, Götzendienst, Zauberei, Feindschaften, Streit, Eifersucht, Jähzorn, Eigennutz, Spaltungen, Parteiungen, Neid und Missgunst, Ess- und Trinkgelage u.ä.m. (Gal 5,19-21). Solche Handlungen werden gesetzt, auch wenn sie zumeist verschleiert, gut entschuldigt oder in einer Form von Blindheit manchmal gar nicht wahrgenommen werden.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur ist ein klarer Standunkt einzunehmen. Argumente sind gefordert, gegenüber Gläubigen, weniger Gläubigen, Andersgläubigen und Ungläubigen, die entsprechenden Gewichtigkeiten aufzuzeigen, und die jeweils verständliche Sprache zu wählen.
Sorge braucht der Christ letztlich keine zu haben, ebenso wenig soll er sich von der Irritation irritieren lassen, ja sogar nicht einmal über seine eigene Verwirrung verwirrt sein. Das Festhalten an Jesus trägt durch alles hindurch.
„Simon Petrus antwortete ihm: Herr, zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte des ewigen Lebens.“ (Joh 6,68)
Evangelium:
Du hast Worte ewigen Lebens (Joh 6, 66-69)
Das Messias-Bekenntnis des Petrus hat im Johannes-Evangelium einen anderen Zusammenhang als bei Matthäus, Markus und Lukas (Mt 16, 13-20; Mk 8, 27-30; Lk 9, 18-21). Bei diesen dreien steht es in Verbindung mit der Frage, für wen Jesus von den Menschen gehalten wird. Die Antwort des Petrus: für den Messias.
Bei Johannes erfolgt dieses Bekenntnis, nachdem Jesus von vielen verlassen worden ist. So klingt diese Stelle zunächst fast kläglich. Will überhaupt jemand bei Jesus bleiben? Und was bedeutet der erste Satz der Antwort des Petrus: Wir kennen ja niemanden? Etwa: Wir sind ja so arm, wir haben keine Alternative zu dir – oder Ähnliches?
Beginnend mit dem zweiten Satz schwingt sich Petrus zu einer Klarheit auf, die jeden mitleidvollen Ton verstummen lässt. Jesu wird als der Heilige Gottes bekannt, der im Unterschied zu allen anderen Predigern „Worte des ewigen Lebens“ hat, d.h. auf die man die ganze Existenz bauen kann.
Das kann nur der Glaubende sagen. Wer nicht zum Glauben gekommen ist, musste schon zuvor irre werden an den schwierigen, schwer verständlichen und anstößigen Argumenten Jesu. Haben die Apostel dieses theologische Gespräch zuvor überhaupt verstanden? Auf intellektueller Ebene sind gebildete, sogar bisher wohlmeinende Anhänger Jesu gescheitert.
Und das ist ein Hinweis für eine christliche Konfliktkultur. Jesus ist manchmal schwerer zu verstehen, als der halbwegs gebildete Christ es zugeben will. Der Intellekt, das Wissen um theologische und gesellschaftliche Hintergründe reicht nicht aus, die unter Umständen verschlüsselten „Worte ewigen Lebens“ herauszuhören. In religiösen Gesprächen und Diskussionen muss dies bewusst sein, zu Bescheidenheit mahnen und den Blick auf das Wesentliche in der Gesamtheit der menschlich-göttlichen Beziehungen öffnen. Das gelingt nur im Glauben, auf den sich letztlich jedes Zusammensein sichtbar beziehen muss. Eine äußere Anhängerschaft oder ein gewisses Maß an Glaubenswissen sind für sich keine Zeichen des Glaubens. Das Eigentliche der Beziehung zu Christus ist das Bekenntnis. Wo dies unterbleibt, fehlt Christus im Leben eines Menschen, so „christlich“ seine Lebensgestaltung sonst aussehen mag.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur kommt es einzig auf den gelebten Glauben an. Die Trennlinie zwischen Glauben und Unglauben verläuft nicht bei unverstandenen Lehren, bei verschiedenen Standpunkten bei Auseinandersetzungen usw. Die Grenze einer Gemeinschaft von Christen und anderen, die diese Nähe zu Christus nicht gefunden haben oder nicht wollen, liegt zwischen dem Sein bei Jesus und dem Weggehen von ihm. Heute wird diese Trennlinie selten klar zu ziehen sein. Irgendwie geht sie manchmal durch einen einzigen Menschen hindurch. Da kann man aber wieder auf den Punkt kommen: Wer ist Jesus? Wer ist er für mich?
Von der Antwort auf diese Frage hängt der ganze Glaube ab und seine Ausformung ist immer neu und schöpferisch aufgegeben.
Konfliktkultur: Respekt - Die goldene Regel
„Was ihr von anderen erwartet, das tut ebenso auch ihnen“ (Lk 6,31)
Evangelium:
Die Goldene Regel (Mt 7,12; Lk 6,31)
Diese Kurzfassung eines christlichen Lebensstils möchte zum Perspektivenwechsel aufrufen. Erwartungen, Wünsche usw. an andere werden damit überprüft, ob bzw. inwieweit ich selbst bereit bin, ihnen nachzukommen. Gerade in Konfliktfällen ist diese Rückbesinnung hilfreich und fordert zu einer Sicht der Gleichwertigkeit auf. Eine noch höhere Sicht wird im Liebesgebot festgehalten (Lev 19,18, Dtn 6,4ff, Mt 22,37-39, Mk 12,29-31, Lk 10,27).
Die Verbindung von Gottes- und Nächstenliebe ist in der Betrachtung einer christlichen Konfliktkultur von entscheidender Bedeutung. Je erfüllter das Herz von Gott ist, je entschiedener ein Mensch für Gott lebt, desto größer wird der Raum für die Liebe zum Nächsten, die doch immer brüchig und konfliktanfällig bleibt. Die Gleichstellung des Nächsten mit der eigenen Person ist realistisch und programmatisch zugleich. Hier kommt niemand zu kurz.
Den Nächsten „mehr“ zu lieben würde zur Verkrampfung und Skrupellosigkeit führen und überfordern. Sich selbst mehr zu lieben würde eine Unterordnung schaffen, die letztlich jedes Verhalten rechtfertigen könnte. Aber die Gleichstellung ermuntert zu einem möglichen Höchstmaß, das allen zugutekommt.
Somit schließt sich der Kreis der Betrachtungen zu einer christlichen Konfliktkultur in seinem alleintragenden Fundament, in der Liebe. Diese ist Basis für jedes christliche Denken, Reden und Tun und somit unabdingbare Voraussetzung für eine christliche Konfliktbewältigung. Dass hier der Mensch an erster Stelle stehen muss, keine Sachfrage, keine Struktur, gehört wesentlich dazu. Das mag manche Konflikte, die auf der Sachebene lösbar erscheinen, komplizierter machen. Aber dadurch werden sie menschlich und christlich.
Konfliktkutlur: Beharrlichkeit - Das Gleichnis vom Sämann
„Auf guten Boden ist der Samen bei denen gefallen, die das Wort mit gutem und aufrichtigem Herzen hören, daran festhalten und durch ihre Ausdauer Frucht bringen.“ (Lk 8,15)
Evangelium:
Das Gleichnis vom Sämann (Mt 13,1-9. 18-23, Mk 4,1-9. 13-20, Lk 8,4-8. 11-15)
Eigentlich ist es müßig, dieses so bekannte Gleichnis im Sinn einer christlichen Konfliktkultur zu betrachten. Die Bedeutung ist klar und lässt keine Frage offen: Jesus selbst erläutert sein Beispiel, das zum christlichen Allgemeinwissen gehört. So sei diese Stelle der Frohen Botschaft dem Leser / der Leserin zur neuen Betrachtung übergeben, wobei ein paar Hinweise „anderer Art“ hinzugefügt werden sollen.
Das Verschwenderische des Säens spielt keine konfliktträchtige Rolle. Es gibt genug Samen, sodass es auf eine genau gezielte Verteilung nicht ankommt. Es herrscht keine Bestürzung, dass nicht überall Frucht wächst. Das ist zwar bedauerlich, wird aber im Gesamten gesehen bei weitem durch die tatsächlich aufgegangene Saat ausgeglichen.
Der Boden soll gut sein. Eine Verkündigung an manche Menschen wird sogar entgegen den Erwartungen und dem ersten Anschein fruchtlos bleiben, wenn die Erde nicht vorbereitet wurde. Da drängt sich eine Frage auf: Wie könnte man aus einem Stück Weg, aus einem Ort des Gestrüpps, aus felsigem Boden ein Stück Acker gewinnen? Zwar ist es müßig, seine Bemühungen hauptsächlich darauf zu richten, aber eine Überlegung ist dieser Gedanke wert. Was zählt, ist das Feld, das Frucht trägt.
Wer trotz seiner großzügigen und verschwenderischen Art der Weitergabe der Frohen Botschaft nicht zu viel erwartet, kann gelassen und vertrauensvoll der Ernte entgegenblicken, die ihn immer wieder überraschen wird. Es gibt diesen vielfachen Lohn der Mühe, der schon die Arbeit mit Vorfreude tun lässt. Manchmal stimmt für den Sämann und die Saat einfach alles. Das lädt zu Dank und Jubel ein.
Daher wird eine christliche Konfliktkultur das Gute und Erfreuliche sehen und in diesem größeren Umfeld die vorhandenen Konflikte, Schwierigkeiten und Misserfolge einordnen können. Der Blick auf das reife Feld zeigt den Sinn des Tuns, schenkt Erfolgserlebnisse und Trost. Auch das tragende Feld des benachbarten Sämanns ist schön. Überall wächst das Gute in viel größerem Maß als es je unter schlechten Umständen verhindert werden könnte. Letztlich kommt der Samen von Gott, der auch das Wachstum, die Reife und die Ernte gewährt für das Leben der Menschen und zu ihrem Heil.
Konfliktkultur: Pflichterfüllung - Das Gleichnis vom unnützen Sklaven
„So soll es auch bei euch sein: Wenn ihr alles getan habt, was euch befohlen wurde, sollt ihr sagen: Wir sind unnütze Sklaven; wir haben nur unsere Schuldigkeit getan.“ (Lk 17,19)
Evangelium:
Das Gleichnis vom unnützen Sklaven (Lk 17,7-10)
Diesem Gleichnis liegt eine klare Rollenbeschreibung zugrunde. Der Sklave hat seine Arbeit zu tun und zuerst an den Herrn zu denken. Das ist seine Aufgabe, dafür ist er da. Eine Wertschätzung des Sklaven über Gebühr ist nicht vorgesehen, dann wäre es nicht in der zugeschriebenen Rolle. Es sind Grenzen einzuhalten. Das eventuelle Verlangen des Sklaven nach Zuneigung, Dank oder einer anderen Rolle wäre unangemessen, weil er eben ein Sklave ist und sein Dienst eine Selbstverständlichkeit darstellt (vgl. 1 Kor 7,21).
Diese gesellschaftliche Spielregel gilt auch innerkirchlich. Aber da tauchen Schwierigkeiten mit dieser Bibelstelle auf. Es fällt schwer, sich in rechter Weise in die Rolle des Sklaven hineinzudenken. Denn erstens fühlt man sich nicht als Sklave, sondern viel eher als „Freund“, als „Kind“, als „Mitarbeiter“, als „Erbe“, eventuell sogar als „Partner Gottes“. Zweitens ist das christliche Engagement nicht mit einer Sklavenarbeit vergleichbar, für die man nicht einmal Dank erwarten dürfte (besonders gilt das für Ehrenamtliche). Die Kultur des Dankens ist zwar unterschiedlich verbreitet – manchmal fehlt sie komplett, ein andermal wird sie übertrieben –, aber Jesus legt keinen Wert auf einen Dank für „Selbstverständliches“.
Und das ist die dritte Schwierigkeit. Christliches Engagement möchte oft etwas Besonderes sein (wie allgemeingesellschaftlich alles etwas Besonderes sein soll). Diesen Einsatz als bloße „Pflicht“ zu betrachten, mit der Gefahr, dass man ausgenützt wird, und ich anderen als „Trottel von Dienst“ erscheine, widerspricht dem Lebensgefühl und dem Selbstbild.
Dennoch sind die ernüchternden Worte Jesu wegweisend. In den vielen Bildern der Beziehung zu Gott kann das Sklave-Sein nicht gelöscht werden (vgl. z.B. Mt 10,27; Mk 10,44; Lk 17,10; Röm 6,6, 1 Kor 7,22; 9,19; Eph 6,6; Phil 2,7; 1 Petr 2,18-25). Dies mag nichts anderes heißen als: Ich anerkenne Gott uneingeschränkt als meinen Herrn. Es ist eine freiwillig gewollte existenzielle Bezogenheit auf ihn, von dem ich alles erwarte und erhoffe.
Das mit dem Dank ist eine überlegenswerte Sache. Wo er mehr als Rhetorik sein soll, ist er die Antwort auf eine erfüllte Bitte oder eine ungeschuldete Wohltat. Im Verhältnis zu Gott ist es der Mensch, der zu begründetem Dank aufgerufen ist. Unter Menschen ist Dank etwa am Arbeitslatz angebracht, wenn eine Leistung bzw. ein Engagement über das Geforderte hinausgeht. Aber der Sklave wird diese Arbeit als geschuldet betrachten. Es wäre unangemessen, wenn er für ein Tun Dank erwarten würde, sogar wenn dieses Tun von besonderer Qualität war. Man soll keinen Dank erwarten – das heißt nicht, dass Anerkennung überhaupt fehlen dürfte. Aber diese geschieht anders, z.B. durch Vertrauen, Umgangsformen, Lohn, Feier, Betriebsklima usw.
Ein nicht ausgesprochenes „Danke“, das die einen für wichtig, die anderen für unwichtig betrachten, bedeutet keinen Undank. Es ist hilfreich, dies im Sinn einer christlichen Konfliktkultur wahrzunehmen und sich nicht vorschnell über jenen aufzuregen, dessen Aufmerksamkeit wenig ausgeprägt ist.
„Man tut nur seine Schuldigkeit.“ Wieviel Hochherzigkeit und welches Übermaß an Hilfsbereitschaft kann hinter diesem bescheidenen Satz stecken! Hier sind Menschen, die zuverlässig und umsichtig ihre Aufgabe als Christen an allen Orten erfüllen und daher, wie selbstverständlich, etwas von Gott erfahrbar machen. Sie tun es in dem Bewusstsein, etwas Geschuldetes zu geben, weil sie sich als Empfangende wissen.
Geschuldet wird Liebe (Röm 13,8), die Anerkennung der menschlichen Würde jedes Mitmenschen, Dank an Gott, eine Lebensgestaltung entsprechend dem Willen Gottes und gelebte Mitmenschlichkeit. Wer dafür besonderen Dank erwartet, ist ein bisschen kleinlich, denn all dies gehört zum Leben selbst, das ein Geschenk ist. Es ist viel einfacher, in der Liebe zu sein und sie weiterzugeben, als darüber zu reflektieren und sich gewünschte Belohnungen und Danksagungen vorzustellen. Das würde nur Selbstverständliches verkomplizieren.
Der Rahmen ist vorgegeben, viele Lebensbedingungen sind unverrückbar. In ihnen gilt es, sich zu entfalten gemäß dem von Gott zugewiesenen und verstandenen Platz in der Weltgeschichte.
Im Sinn einer christlichen Konfliktkultur ist diese Bibelstelle ein Aufruf, das Leben zu nehmen, wie es ist, nichts Unangemessenes und kein Verwöhnen zu verlangen, sondern in Treue in den kleinen Dingen das Nötige zu tun. Gott wird das nicht bloß zur Kenntnis nehmen, sondern er wird die entsprechende Anerkennung – ein anderes Mal – im Übermaß schenken. Das ist ihm zuzutrauen.
Konfliktkultur: Eindeutigkeit - "Euer Ja sei ein Ja..."
„Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein; alles andere stammt vom Bösen.“ (Mt 5,37)
Evangelium:
Euer Ja sei ein Ja, euer Nein ein Nein (Mt 5,37)
Für jeden ist offensichtlich, wie viele Konflikte aus einer Nichtbeachtung dieser Worte resultieren. Die Sprache ist eine Dimension des Mensch-Seins. Sie ist das erste und differenzierteste Medium der Verständigung. Sie kann nicht alles, aber sehr vieles fassen und vermitteln.
Der Umgang mit der Sprache ist für einen Menschen nicht nur ein Lebensbereich unter anderen, denn darin drückt sich ein Stück Persönlichkeit und Identität aus. Sprache schafft Atmosphäre, Verbindung und Gemeinsamkeit, aber auch Verwirrung, Distanz und Feindschaft. Man könnte sagen, der Mensch hat nicht nur Sprache, er ist Sprache. Wahrhaftigkeit, Zuverlässigkeit, Treue, jede zwischenmenschliche Dimension hat viel mit Sprache zu tun. Umso wesentlicher ist ihre Wahrhaftigkeit für das Gelingen jeglicher Beziehung und jeglicher Teilnahme am gesellschaftlichen Leben.
Wo die Sprache verwirrt wird, hört Verständigung und Zusammenhalt auf (vgl. Gen 11,7, Turmbau zu Babel). Die Lüge zerstört das Vertrauen und zerbricht die Basis der Verständigung. Rhetorische Floskeln schaffen eine Scheinwirklichkeit, die keine Substanz hat. Das ist jedem bewusst, dennoch wird Missbrauch mit der geforderten Wahrhaftigkeit der Sprache getrieben und dessen negative Folgen in Kauf genommen.
Es gibt ein Reden in unterschiedlichen Stufen der Zuverlässigkeit. Warum? Geschieht dies, weil vorschnell Dinge gesagt werden, die später zurückgenommen oder revidiert werden müssen? Werden Meinungen und Positionen rasch gewechselt? Spricht man in je anderen Milieus so angepasst, dass man seine Worte an unterschiedlichen Orten wegen eventueller Vorteile oder der Vermeidung von Nachteilen verändert bzw. verleugnet?
Dieses „Ja ist Ja und Nein ist Nein“ verlangt doch einiges, das nicht einfach ist. Vor dem Reden ist Nachdenken gefordert, damit man eine Überzeugung und einen Standpunkt einnehmen kann, der nicht auf momentaner Laune, einer Beeinflussung oder auf dem bloßen Augenschein beruht. Standfestigkeit ist nötig, um sich nicht wie ein Blatt im Wind der gerade gängigen Meinung anzupassen, die zu Vorherigem oder Nachfolgendem in Widerspruch steht. Aber ein Verschleiern der Sprache gilt nicht, ein „Vielleicht“, ein Anknüpfen an Bedingungen („wenn…“) ist im zwischenmenschlichen Bereich unangemessen.
Freilich gibt es Sachfragen, Verträge usw., die differenziert beurteilt und von mehreren Seiten betrachtet werden müssen, sodass es manchmal keine eindeutige Positionierung geben kann. Aber die nach reiflicher Überlegung gewonnene Überzeugung soll tragfähig sein.
Für eine christliche Konfliktkultur ist der Auftrag zur Wahrhaftigkeit und Eindeutigkeit evident. In konkreten Situationen muss man sich dazu manchmal erst durchringen. Eine Verdrehung der Worte wäre einfacher, konfliktvermeidender, politisch klüger, baut jedoch nichts auf. Nur die Zuverlässigkeit der Sprache und die Übereinstimmung von Reden und Handeln errichtet eine verlässliche Basis für das mitmenschliche Zusammensein. Die Menschen brauchen keine Instanzen, die es nach eigenem Ermessen mit der Wahrhaftigkeit nicht so genau nehmen. Sie brauchen Zeugen, die zu dem stehen, was sie sagen.
Konfliktkultur: Barmherzigkeit - Jesus und die Ehebrecherin
„Da sagte Jesus zu ihr: Auch ich verurteile dich nicht. Geh und sündige von jetzt an nicht mehr!“ (Joh 8,11b)
Evangelium:
Jesus und die Ehebrecherin (Joh 8, 1-11)
Die Heilung eines Blinden (Joh 9,1-12. 35-41)
Etwa in der Mitte dieser Bibelstelle steht der Satz (Joh 8, 7b) „Wer von euch ohne Sünde ist, werfe als erster einen Stein auf sie“. Die Situation insgesamt ist vielschichtig. Den Pharisäern geht es nicht um die Lösung eines Gerichtsverfahrens, sondern um eine Probe für Jesus. Spricht er die Sünderin frei, verstößt er gegen das Gesetz, verurteilt er sie, widerspricht er seinem Anspruch, über dem Gesetz zu stehen.
Man könnte Jesu Gelassenheit, Unbeirrbarkeit und Schlagfertigkeit bewundern. Sein Schreiben in der Erde ist etwas rätselhaft, wirkt aber wie eine gekonnte, dramaturgische Eingebung, über die sich jeder Regisseur freuen würde.
Es gibt eine zweite Szene, in der Jesus die Finger in die Erde taucht. Anschließend heilt er einen Blinden (Joh 9, 1-12), der dadurch zum Glauben an ihn kommt (Joh 9, 35-41). Wenn man hier einen Zusammenhang sieht, erscheint die Episode mit der Ehebrecherin wie eine Vorbereitung auf die genannte zweite Szene. Jedes Mal dreht Jesus die Rollen um. Die verurteilte Frau, der ausgestoßene (Joh 9,34), geheilte Blinde werden sehend, in einem realen und in einem tieferen Sinn bzw. sie haben die Chance dazu. Was ihnen widerfährt, öffnet die Tür zu einem neuen Leben und zum Glauben. Die Ankläger hingegen sehen sich plötzlich selbst als Schuldige bzw. als Beschuldigte. Ziehen sie zuerst noch beschämt die Konsequenzen (oder verschwinden sie aus Ärger über die missglückte Falle?), so werden sie später deutlicher mit Jesu Vorwurf der Blindheit konfrontiert. Das wollen sie nicht verstehen. Mit dieser Wahrnehmungsverweigerung werden sie für ihre Blindheit verantwortlich. Somit entschuldigt sie nichts mehr und ihre Sünde bleibt.
Wie das Leben der Ehebrecherin bzw. des Geheilten weitergeht, erfahren wir nicht. Haben sie den Neuanfang durchgehalten und die Sünde gemieden? Sind sie in die alten Fehler oder in eine matte Durchschnittlichkeit zurückgefallen? In der Stunde der Begegnung mit Jesus wird ihnen ihr Leben neu in die Hand gegeben. Es liegt an ihnen, das Beste daraus zu machen.
Eine christliche Konfliktkultur mahnt zur Auseinandersetzung mit sich selbst, um die eigenen Sünden und die eigenen blinden Flecken wahrzunehmen. Die Kriterien des Gesetzes erweisen sich als mangelhaft, nicht zuletzt, da ihre Handhabung vorurteilsbehafteten Menschen obliegt. Daher möge man bei gesetzlichen Regelungen gut deren konkrete Anwendung überlegen. Sie sollen im Sinn Gottes nicht zum Tod oder zum Ausschuss führen, sondern zum Leben, zur Versöhnung, zum Neuanfang. Das ist ihr Sinn, der ihnen immer neu gegeben werden muss.
In der Souveränität über das Gesetz zeigt sich Jesu Vollmacht. Er hebt kein Gesetz auf (Mt 5,17), aber er muss in Anwendung und Durchführung vom Willen Gottes durchdrungen sein, da dieser der tiefste Grund jeder menschlichen Ordnung sein soll. In diesem Zusammenhang stehen die zahlreichen Auseinandersetzungen zum Thema Gesetz.
Schlimmer als eine schwere Sünde ist die Haltung der Blindheit, die eine Umkehr praktisch unmöglich macht. Hier stößt Jesus an seine Grenzen.
Eine christliche Konfliktkultur muss damit rechnen, dass Betriebsblindheit, Vorschriftsgehorsam u.ä. menschengerechte Lösungen verhindern.
Ab und zu gibt es jedoch Einsicht (Joh 8,9), es wird mit dem Maß der Menschlichkeit gemessen und es gelingt, jemanden voll und ganz in die Gemeinschaft zu integrieren. Ein anderes Mal bleibt jemand ausgestoßen und muss sein neues Leben als Außenseiter führen. Ihn mag der gefundene Glaube stärken und es ist zu erwarten, dass ihn dieser mit anderen Glaubenden zu einer neuen Gemeinschaft zusammenführen wird. Sicherlich wird eine christliche Konfliktkultur nicht verurteilen und das Steine-Werfen unterlassen. Es geht um eine Hilfe für Menschen, was manchmal Konflikte herausfordert.