„Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid: wenn ihr einander liebt.“ (Joh 13,35)
Evangelium:
Das Liebesgebot ( Joh 13,34-35, Joh 15,17)
Der Auftrag einander zu lieben, ist ein immer neues Gebot. Liebe muss oft mühsam errungen und sorgfältig gepflegt werden. Liebe fällt leicht, wenn sie mit Sympathie und guten gemeinsamen Erfahrungen verbunden ist. Sie fällt schwer in Konflikten und bei einer Antipathie, für die es manchmal keine Erklärung gibt. So kann Liebe in verschiedenen Situationen gegenüber jeweils anderen Mitmenschen Unterschiedlichstes bedeuten.
Gemeinsam ist der christlichen Liebe das Fundament Jesus Christus und die Orientierung an seinen Worten und Geboten. Das wunderbare Bild der Liebe ist nicht mit oberflächlicher Harmonie oder unverbindlicher Nettigkeit zu verwechseln. Denn im Ernstfall der christlichen Liebe geht es um den rückhaltlosen Einsatz füreinander über alle Differenzen hinweg. Die Kirche in Zeiten der Verfolgung bietet ein eindrucksvolles Bild dieser Solidarität, die zwischenmenschliche Antipathien (unter Christen) nie auslöschen, aber wirkungslos machen und überwinden kann. Demgegenüber macht sich eine in sich zerstrittene Kirche nur lächerlich. Das Auswälzen von Konflikten, das leichtfertige und lieblose Reden über andere, das Polarisieren und Fixieren auf irgendwelche Positionen, das Recht-Haben-Wollen, Taktik usw. widersprechen dem Liebesgebot. Menschen, die dies tun, sind nicht wirklich vertrauenswürdig, auch wenn sie unzählige Talente haben und diese in das Leben der Glaubensgemeinschaft einbringen. Das sich nach außen abzeichnende Bild einer Kirche der Reibereien entspricht leider einer inneren Wirklichkeit, die durch tägliche Umkehr zur Liebe verändert werden kann.
Diese Realität ist viel schlimmer, als es der Alltag erahnen lässt. Wo kleinliche Streitigkeiten den Eindruck in der Öffentlichkeit bestimmen, hat die Gemeinschaft der Gläubigen ihren Auftrag verraten. Sie hält sich nicht an Wort und Beispiel Jesu: Wie kann sie ihn da noch glaubwürdig verkünden? Keine Sachfrage kann es wert sein, das Liebesgebot auch nur ein einziges Mal hintanzustellen.
Vielleicht geht es gar nicht mehr um eine Verkündigung des Evangeliums, wenn die internen Konflikte so reizvoll sind, dass weder Zeit noch Kraft für ein Wirken nach außen vorhanden wäre. Ein Zeichen dafür ist der mangelnde missionarische Eifer, der aufgrund einer oberflächlichen positiven Bewertung der „Welt“ vorübergehend ein wenig eingeschlafen ist. Kraft und Eifer haben nur liebende Menschen, die um das Zeugnis der Liebe in allen Situationen des Lebens ringen können. Die Vertrauenswürdigkeit der Kirche hängt damit engstens zusammen. Denn wo nicht geliebt wird, kann kein Vertrauen gewonnen werden.
Im Stammbuch einer christlichen Konfliktkultur gehört dieser Satz ganz an den Anfang: „Daran werden alle erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr einander liebt.“
Es geht in jeder Begegnung um Jesus selbst, denn seinem Beispiel der Liebe soll ein Jünger folgen. Wo er dies nicht tut, wird Jesus nicht geliebt, wird Jüngerschaft nicht realisiert. Was übrig bleibt, ist eine Glaubensabschreckung, weil es dem sogenannten Jünger de facto um vieles, aber nicht wirklich um das Evangelium geht. In dieser Stunde der Kirche unseres Landes kippt das herrliche und in dieser Weise wohl einzigartige Liebesgebot Christi im Sinn einer christlichen Konfliktkultur in eine ernste Warnung. Aber es bleibt zugleich ein Auftrag, der eine Veränderung bewirken kann, wie sie allein sinnvoll ist – in der Liebe.
Konfliktkultur: Feindesliebe - Verhalten gegenüber den Feinden
„Ihr aber sollt eure Feinde lieben und sollt Gutes tun und leihen, auch wo ihr nichts dafür erhoffen könnt. Dann wird euer Lohn groß sein, und ihr werdet Söhne des Höchsten sein; denn auch er ist gütig gegen die Undankbaren und Bösen.“ (Lk 6,35)
Evangelium:
Feindesliebe (Mt 5,38-48, Lk 6,27-36)
Die hier beschriebenen Verrücktheiten finden sich bei den Evangelisten in unmittelbarer Nähe zu den Seligpreisungen im Rahmen der Bergpredigt (Matthäus) bzw. der Feldrede (Lukas).
Was das im Menschen verwurzelte Übermaß an Liebe hervorbringen kann, wird in einer Extremsituation beschrieben. Der Christ ist berufen, Gott ähnlich zu werden und Barmherzigkeit in vollem Umfang zu leben. Können die hier gegebenen Weisungen überhaupt im Leben umgesetzt werden? Denn die Selbstachtung und das Maß der Nächstenliebe, das dem der Eigenliebe entsprechen soll (Mt 22,38; Mk 12,31; Lk 10,27), verlangen doch einen auf Gegenseitigkeit beruhenden fairen Umgang miteinander. In diesem Sinn sind Ungerechtigkeiten nicht zu ertragen, zumal der andere entsprechend seiner Fehler gemahnt werden soll (vg. Mt 18,15-20). Also muss noch etwas anderes hinter dieser Bibelstelle stecken.
Die Lebensführung der Christen soll dem Beispiel des in der Liebe vollkommenen und barmherzigen Gottes entsprechen. Gott ist souverän gegenüber dem Bösen und lässt sich nicht von seiner Liebe abbringen. Fast spielerisch zeigt er in der Geschichte Israels, wie unbeeindruckt er von rücksichtslosesten oder lästigsten Behandlungen bleibt. Die Grenzen seiner Geduld und seiner Liebe sind nicht auslotbar.
Letztlich können nur von Gott gelenkte Formen des Guten das Böse überwinden. Im Vertrauen darauf kann eine christliche Konfliktkultur bis in extreme Beweise von Geduld, Friedfertigkeit und heroischer Gelassenheit führen. Im Hintergrund weiß man, dass dies für die Ewigkeit zählt. Demgegenüber kann anderes, das heißt jede erdenkliche Unannehmlichkeit, gering geachtet werden. Der Lohn bei Gott wird groß sein (vgl. Mt 5,12).
Um diese Stelle nicht in Richtung einer Spiritualisierung abzuschwächen, soll dies genauer erläutert werden.
Zu Mt 5,38-42, Lk 6,29-30
Was für einen Sinn hat es, bei Ungerechtigkeiten keinen Widerstand zu leisten?
Ein paar mögliche Aspekte: Die eigene Ruhe kann die Affekte des anderen überwinden. Es geht um eine Haltung innerer Souveränität, nicht um eine Unterwerfung unter den Stärkeren. Die Macht des Anderen wirkt nur äußerlich, innerlich bleibe ich sogar in einer solchen Situation voll Liebe. Die eigene Großzügigkeit ist größer als kleinliche Gier und überwindet diese damit. Das Gute lässt sich vom Bösen nicht beeindrucken.
Wer mehr erhält, als er aus feindlichen Motiven heraus anstrebt, wird überrascht sein – und damit unter Umständen „ansprechbar“. Die Geringschätzung von Materiellem bezieht sich auf den Vorrang der Liebe nach dem Beispiel Gottes. Nur was in Gottes Augen wichtig ist, ist es auch für mich. Was für ihn praktisch nichts oder wenig bedeutet, ist letztlich für mich ebenso belanglos.
Zu Mt 5,43-48; Lk 6,27-28. 32-36
Die Liebe zu Feinden sprengt die Grenzen menschlicher Verhaltensweisen. Wo die Liebe bzw. der freundliche Umgang unter Gleichgesinnten nichts Besonderes ist, öffnet eine positive Zuwendung zu Gegnern eine neue Dimension der Mitmenschlichkeit. In welcher Form dies verwirklicht werden kann, muss erprobt werden. Die Liebe bzw. die Phantasie der Liebe ist grenzenlos. Grundlegend ist das Bemühen, selbst im Feind den Menschen zu sehen, der Ebenbild Gottes ist. Im Gebet für ihn kann ich ihn unter den Einfluss Gottes stellen, ihn Gott näherbringen und so Feindseligkeit bekämpfen. Gott bewirkt durch mein Bitten Wandlungen, sei es bei mir, sei es beim anderen, sei es bei uns allen, sei es in der Atmosphäre.
Das erlebte Beispiel der Feindesliebe durch Bekenner und Märtyrer hat viele Menschen zu allen Zeiten von der unendlichen Größe und Kraft der Botschaft des Evangeliums überzeugt. Wer einmal ein Stück davon verwirklichen kann, hat tatsächlich Anteil an der Vollkommenheit Gottes. Ein Lohn mag kommen und menschlich Planbares überschreiten.
Eine christliche Konfliktkultur wird diese Vision des Sieges des Guten wachhalten. Die Spannung zwischen Unendlichkeit und Endlichkeit bleibt aufrecht. Das unvollkommene Bemühen bleibt immer hinter der Vollkommenheit zurück; und das bloße äußerliche Befolgen der Worte Jesu in einem spannungslosen Fatalismus artet in Dummheit oder Schwäche aus.
Der Gläubige ist der Liebe ausgeliefert. Er kann für Außenstehende in diesem Sinn wie ein Narr wirken (vgl. 2 Kor 11,16 – 12,13). Wer ihm jedoch näherkommt, erfährt etwas von Gott.
Konfliktktultur: Gerechtigkeit - Aus den Seligpreisungen
„Selig, die um der Gerechtigkeit willen verfolgt werden, denn ihnen gehört das Himmelreich.“
(Mt 5,10)
Evangelium:
Die Seligpreisungen (Mt 5,3-12; Lk 6,20-26)
Die wohl größte Ermutigung des Evangeliums wird in den Seligpreisungen beschrieben. Wem es heute schlecht gehen sollte, weil er sich gemäß dem Willen Gottes einsetzt, soll sich nicht niederdrücken lassen. Es ist sicher, dass er reich belohnt wird, spätestens im Himmel (vgl. auch Mt 16,25b; Lk 9,25).
Gott anerkennt die Haltungen, die sein Reich aufbauen. Und er schenkt es denen, die dazu beitragen. Zum Aufbau des Reiches Gottes gehört das Standhalten angesichts von Leid, Ungerechtigkeit, Verunglimpfung und Verfolgung. Als Reaktion wird vorgeschlagen: Weil du (gerade deshalb) selig bist, freue dich und juble, denn dein Lohn wird groß sein! Sei dir bewusst, dass es den vor Gott verdienten Menschen (z.B. den Propheten) oft ebenso ergeht! Aber es muss wirklich um den Willen Gottes als Grund für eine Diskriminierung gehen. Sonstige Fehlhaltungen werden nicht entschuldigt, die vielleicht öfter der Anlass für Ablehnung sind. Um sich darüber klar zu werden, braucht es eine feine Gewissenserforschung und die Bereitschaft zur beständigen Umkehr.
Wo „christliche“ Fanatismen, Engstirnigkeit und Rechthaberei verfolgt werden, ist nicht der Glaube gemeint, sondern eine Person mit einem problematischen Charakter, die auf schlechte Art – fanatisch, engstirnig, rechthaberisch – „den Glauben“ präsentiert. Dies zu unterscheiden, und die wirklichen Gründe für eine „Verfolgung“ herauszufinden, ist die eine Aufgabe einer christlichen Konfliktkultur.
Da die Kirche auch eine Kirche der Sünder ist, gibt es Widerstand gegen Menschen, die im Sinn der Seligpreisungen leben – und sogar von jenen, denen man sich persönlich verbunden fühlt. Das muss man aushalten! Denn es geht überhaupt nicht darum, eventuellen Enttäuschungen über Menschen nachzuhängen oder sich von ihnen (innerlich) zurückzuziehen bzw. abzugrenzen! Es ist jede subtile Form von „Nachtragen“ abzulehnen (Mt 5,39-42; Lk 6,29-35). Eine mögliche „Vergeltung“ ist Gott zu überlassen. Es soll Gottes Sache sein, was er tut, ob er darüber hinweggeht, verzeiht, jemanden zur Umkehr fordert, ihn beschämt oder „bestraft“, damit er Gott erkennen und ihn finden mag. Es geht nicht um persönliche Genugtuung, wenn das Unrecht des anderen offenbar wird! Für den anderen soll im eigenen Herzen nur Gutes Platz haben (Mt 5,44-48; Lk 6,35-36; Röm 12,17b-18), weil das eigene Herz von Gott erfüllt ist. Und das ist die wesentlichste Voraussetzung dafür, um überhaupt von einer christlichen Konfliktkultur sprechen zu wollen!
Das Bewusstsein, sich auf dem rechten Weg für Rechtes einzusetzen, und das Vertrauen, dass Gott dies sieht, soll im Sinn der Seligpreisungen genügen und Grund zur Freude sein. Gemäß einer christlichen Konfliktkultur braucht es vor allem eine Verwurzelung in der Frohen Botschaft. Denn schon jetzt erfahrbare Lösungen oder Erleichterungen werden nicht versprochen. Es kann durchaus um`s Kreuztragen gehen (Mt 16,24; Mk 8,34; Lk 9,23), auch wenn dies aus einer oberflächlichen Sicht absurd aussehen sollte.
Konfliktkultur: Selbstbeschneidung - "Wenn dich dein Auge zum Bösen verführt..."
„Denn es ist besser für dich, dass eines deiner Glieder verlorengeht, als dein ganzer Leib in die Hölle geworfen wird.“ (Mt 5,29b)
Evangelium:
Wenn dich dein Auge zum Bösen verführt, gib es weg ( Mt 5,29-30, Mt 18,8-9; Mk 9,43-47)
Was kann dieser eindringliche, anschauliche und erschreckende Text für den Alltag bedeuten? Es ist schwierig, sich von seiner Phantasie zu befreien, die sich gegen die Vorstellung einer Verstümmelung des eigenen Körpers wehrt. Denn ein wortwörtliches Verstehen dieser Textstelle muss ausgeschlossen werden. Somit müssen Abwehrhaltungen gegen die sich aufdrängenden bildlichen Vorstellungen demaskiert werden, bevor man zu einem tieferen Verständnis des Textes vordringen kann.
Eine erste Abwehr besteht darin, die Worte nicht wirklich an sich herankommen zu lassen: „So schlimm ist es bei mir auf keinen Fall. Und wenn ich einmal sündige, d.h. Böses tue, dann wollte ich es ja eigentlich nicht. Ich habe in einer Situation der Schwäche einen Fehler gemacht. Aber ich habe bereut – und die Sache ist sicher erledigt.“ Zweifellos finden diese Gedanken im Evangelium Unterstützung, z.B. im Gleichnis vom Unkraut und vom Weizen (Mt 13,29-30). Aber ist es so einfach?
Eine weitere Abwehr liegt im Kontext der betrachteten Bibelstelle: Es geht um eine Situation der Entscheidung zwischen Gut und Böse und deren Konsequenzen vor dem Endgericht. Es geht um Entweder – Oder, um Schwarz oder Weiß. Für einen Christen, der diesen Text betrachtet, ist die Entscheidung jedoch längst zugunsten des Guten gefallen und so kann er den Eindruck haben, dass ihn die dargestellte Entscheidungssituation nicht betrifft. Diese liegt ja hinter ihm. Er braucht die eindringliche Erinnerung an das Tun des Guten und das Vermeiden des Bösen nicht mehr. Was der Text in diesem Zusammenhang aussagt, ist eine Selbstverständlichkeit.
Eine dritte Abwehr einer näheren Beschäftigung mit dem Text liegt in einem bloß bildhaften Verständnis, wobei die Dramatik des Bildes als stilistisches Element gedeutet und daher rein spiritualistisch gesehen werden kann.
Wie auch immer: Die Grundaussage des Textes ist klar: Das Böse soll im eigenen Handeln keinen Platz haben. Es wäre sogar besser, „Verstümmelungen“ zu erlangen, als Unrecht zu tun und sich Gott entgegenzustellen.
Irritierend bleibt die scheinbare Ignoranz des Textes gegenüber der Ganzheitlichkeit der menschlichen Person. Gott kann doch nur wollen, dass die ganze Person „heil“ wird. Es kann nur ein Missverständnis sein, wenn in einer Form von Fanatismus alles „Unreine“ beseitigt werden soll, denn dann gäbe es keinen unversehrten Menschen mehr!
Dennoch ist der Text in diesem Verstehensdilemma ernst zu nehmen.
Was kann mit „böse“ gemeint sein? Ganz eindeutig sind z.B.: Lüge, Hinterhältigkeit, Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit u.ä. gemeint. Aber auch, Dinge über Menschen zu stellen, gehört dazu. Teilweise verschleiern oder legitimieren gesellschaftliche Verhältnisse sogar Böses. Wieviel Taktik, Doppelbödigkeit und Ellbogentechnik kann man auf den Karriereleitern in gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und vielleicht auch kirchlichen Einrichtungen begegnen? Und wie oft wird Rücksichtnahme, Geduld, Dialogbereitschaft und Großzügigkeit ausgenützt, wenn es die eigenen Ziele fördert?
Damit hängt die Frage direkt zusammen: Was ist es heute, das scheinbar unmittelbar zu einer Persönlichkeit gehört, aber doch zum Bösen verführt? Das kann z.B. das Streben nach einer gesellschaftlichen Position, nach Kariere, eine ich-zentrierte „Selbstentfaltung“ usw. sein. Wenn ein solcher Lebensweg Lieblosigkeit, Rücksichtslosigkeit, Unehrlichkeit usw. in Kauf nehmen muss, wäre es besser, ihn zu verlassen. Im übertragenen Sinn könnte es so aussehen, als wäre man dann eine „unvollständige Persönlichkeit“, weil man seine „Chancen nicht genutzt hat“. Und tatsächlich kann man in den Augen mancher Menschen als „verstümmelt“ gelten. („Der hat auf einen schönen Posten verzichtet“ u.ä.m.)
Wenn die gesellschaftlichen Verhältnisse definieren, was zu einer Person dazugehören soll, werden manchmal andere Maßstäbe angelegt, als es das Evangelium tut. Die Frohe Botschaft legt nahe, nötigenfalls auf Dinge zu verzichten, von denen man meint, sie würden zur eigenen Persönlichkeit, zum persönlichen Lebensstil gehören.
Ein etwas unschön klingender Ausdruck dafür ist „Selbstbeschneidung“, was einen Verzicht auf etwas Wertvolles – zugunsten eines noch Wertvolleren – bedeutet. Die wahre Integrität des Menschen kann gegebenenfalls paradoxerweise nur durch den Verlust eines (vermeintlich) dazugehörigen Teiles der eigenen Person gewahrt werden. Das kann der Verzicht auf die Durchsetzung von Zielen sein, mit denen man sich identifiziert; die Aufgabe eines Berufes oder eines Milieus, in denen durch Strukturen, Personen oder andere Umstände das Gute unterdrückt wird. Sogar die Trennung von Menschen, die nicht vom Tun des Bösen wegkommen und dadurch das eigene Gut-Sein bedrohen, könnte gemeint sein.
In Sinn einer christlichen Konfliktkultur muss man es in dieser Gesellschaft in Kauf nehmen, im Zweifelsfall auf einiges zu verzichten. Ein gesellschaftlich legitimes Mittun, ein Verweigern radikaler Konsequenzen der geforderten Umkehr zum Evangelium sind zwar „menschlich verständlich“, letztlich aber unchristlich.
Konfliktkultur: Lebensstil - "Wer es erfassen kann, der erfasse es..."
„Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht, und manche haben sich selbst dazu gemacht – um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.“ (Mt 19,12)
Evangelium:
Wer das erfassen kann, der erfasse es (Mt 19,12)
Die Verkündigung Jesu ist nicht restlos klar. Er kann nicht einmal seinen Jüngern alles erklären. Die Logik menschlichen Denkens kann nicht alles ergründen, was im Zusammenhang mit dem Himmelreich anders werden kann als wir gewohnt sind.
Jesu bemühende Erklärungen haben eine Grenze. Nur gelebt kann mitvollzogen werden, was er meint. Es geht um schwer bzw. gar nicht begreifliche Umstände, die sich bei einigen vom Reich Gottes Ergriffenen in einem bestimmten Lebensstil ausdrücken, der ein Stück weit anders ist als üblich, als es für normal gilt (wobei dies stets nur von außen betrachtet wird).
In Verbindung mit einem Engagement für das Reich Gottes sind solche „anderen Lebensstile“ sinnvoll. Es passt zu denen, die eine solche Lebensart gewählt haben bzw. dazu berufen wurden, es wirkt sich liebevoll aus und ist daher glaubwürdig.
So ist Zurückhaltung angebracht angesichts der Beurteilung eines etwas anderen Lebensstils, einer Eigenart oder eines Gegen-den-Strom-Schwimmens. Das entscheidende Zeichen, ob dies lediglich eine Marotte, eine fromme Einbildung, etwas Unnötiges oder tatsächlich Frucht eines geistlichen Weges mit Gott ist, zeigt sich in den Früchten der Liebe.
Wo das Beharren auf einer bestimmten Art eines christlichen Lebensstils mit Ausgrenzung, Intoleranz, Arroganz, Schwarz-Weiß-Denken, Abschätzigkeit, Verdächtigungen verbunden ist, stammt dies nicht vom Guten. Wo es darum geht, sich in einem Lebensstil äußerlich an gewisse Regeln anzupassen, wo es de facto nicht wirklich (nicht mehr wirklich) um das Himmelreich geht, fehlt der innere Sinn eines solchen vom gewohnten abweichenden Lebensstils. Wo hingegen die Verteidigung eines bestimmten Stils demütig, offen, von Liebe getragen, tolerant für andere Wege und auf sie bezogen bleibt; wo nach Verständnis und nach dem Gemeinsamen gesucht wird, werden die Kriterien des Evangeliums verwirklicht.
Hier erübrigt sich jeder Konflikt über eine äußerlich unterschiedliche, sogar unverständliche Realisierung von Liebe. Die Überschreitung des Begreifbaren stellt kein Problem dar, weil dahinter die Echtheit einer Person steht, die auf ihre ganz persönliche Art Liebe vermittelt.
Was hat das mit einer christlichen Konfliktkultur zu tun? Es ist eben nicht alles verstehbar, besonders wenn der Blick äußerlich bleibt. Unterschiedliche Lebensformen sollen nicht gegeneinander ausgespielt oder über- bzw. untergeordnet werden. Um des Himmelreiches willen ist manches sinnvoll, was nicht unbedingt menschlich logischen Vorstellungen entspricht.
Es gilt, tolerant zu sein, es bei dem eigenen Nicht-Verstehen zu belassen und den anderen zu akzeptieren, wie er ist. Niemals sollte das ein Grund für Konflikte sein, die aus dem mangelnden Zutrauen kommen, dass Gott im anderen wirkt, wenngleich ich dies mit meiner begrenzten Einsicht nicht mitvollziehen kann.
Der Satz „Wer es erfassen kann, der erfasse es“ kann sich auf vieles beziehen. Man muss die Grenzen des eigenen Fassungsvermögens eingestehen, aber man kann Gott zutrauen, dass er weiß, was er tut und wohin er die Menschen führt.
Menschliche Regelungen sind als Stütze hilfreich, gerade in Situationen der Verunsicherung und der Müdigkeit. Denn der Sinn eines Lebensstils muss immer wieder neu errungen werden, in der Ehe wie in der Ehelosigkeit, in der Arbeit wie in der Freizeit. Man hat ihn nicht ein für allemal gewonnen. Er wird immer wieder von neuem geprüft.
Und man muss akzeptieren, dass es manches um des Himmelreiches willen im eigenen Leben gibt, das man nicht ganz versteht. Aber man kann es im Vertrauen auf Gott in Kauf nehmen und sich führen lassen.
Eine christliche Konfliktkultur wird einen größeren Horizont und weitere Perspektiven haben müssen als dies grundsätzlich üblich, logisch oder naheliegend ist. Freilich wird sie ihre Beobachtung dabei auf die Verwirklichung des Guten in all seinen Spielarten richten. Das erlaubt dessen vorbehaltlose Anerkennung überall, wo Bruchstücke der Liebe zu finden sind, sogar wenn in anderen Elementen einer Lebensform Irrtümer bezüglich der Verwirklichung des Willens Gottes vorliegen mögen.
Wer es fassen kann, der fasse es. Wer es nicht fassen kann, möge in seiner Betrachtung zurückhaltend sein und jeden Wert gemäß der verwirklichten Liebe einmal anerkennen.
Konfliktkultur: Eifer - Die Vertreibung der Händler aus dem Tempel
„Jesus ging in den Tempel und begann, die Händler und Käufer aus dem Tempel hinauszutreiben; er stieß die Tische der Geldwechsler und die Stände der Taubenhändler um und ließ nicht zu, dass jemand irgendetwas durch den Tempelbezirk trug.“ (Mk 11,15b-16)
Evangelium:
Vertreibung der Händler aus dem Tempel (Mt 21,16-17, Mk 11,15-19, Lk 19,45-48, Joh 2,13-22)
Jesu Sanftmut hat seine Grenzen, was sich an dieser Stelle drastischer als bei diversen Streitgesprächen zeigt. Es geht nicht um seine Person, sondern um einen skandalösen Zustand: die Entweihung des Tempels durch die Tätigkeit von Händlern und Geldwechslern, die wohl nicht immer so ganz ehrlich gewesen sein dürften (warum sonst der Vergleich mit einer Räuberhöhle, siehe auch Jer 7,11a?: „Ist denn in euren Augen dieses Haus, über dem mein Name ausgerufen ist, eine Räuberhöhle geworden?“)
Es gibt Situationen, in denen man aus christlicher Sicht den Konflikt suchen muss. Die Entschlossenheit Jesu ist ein Beispiel für ein entschiedenes, klares und kompromissloses Auftreten. Natürlich gibt es in der Zwischenzeit andere Konfliktregeln als zur Zeit Jesu. Gesetze und Vorschriften eines Rechtsstaates müssen eingehalten werden. Aber auch in unserem hochentwickelten System ist das nicht vollkommen, sodass Kritik und manchmal sogar Missachtung aufgrund eines Vorrangs der Botschaft Gottes angebracht sein können. Beispiele: die im Dritten Reich mögliche Verdrehung von Recht im Namen des Rechts in massives Unrecht; oder heute: manche ideologieanfälligen Urteile, die Religionsverhöhnung als Freiheit der Kunst betrachten.
In seinen Auseinandersetzungen hat Jesus nichts mit offensichtlichen Gesetzesbrechern zu tun. Die Konfliktfelder liegen im Bereich gesellschaftlicher und sogar religiös akzeptierter Verhaltensweisen, die aber de facto eine für das Wort Gottes hindernde Atmosphäre schaffen. Eindeutig ist dies, wenn der Weg zum bzw. von der Andacht des Betens mitten durch vermutlich schreiende, feilschende, vielleicht unehrliche Händler geht, denen das Wesentliche – die religiöse Feier des Festes – egal ist, in deren Rahmen sie sich aber befinden.
Die härtesten verbalen Auseinandersetzungen Jesu drehen sich um Heuchelei (Mt 23,27-28, Mt 12,40, Lk 12,1, Lk 11,46, Lk 12,45) und um religiöse Engstirnigkeit (Mt 23,34-35). Diese Attacken Jesu klingen für einen heutigen Leser entweder allzu pauschal oder sie lassen sich immer auf andere anwenden.
Weiters ist zu beobachten, dass in der Frohbotschaft ein nicht kleines Maß an „Drohung“ steckt. Hier ist (besonders bei Mt 23 und Lk 11,39-52) die literarische Gattung der „prophetischen Drohrede“ zu beachten. Es sind außergewöhnliche Worte, die in dramatischer Form gegen das Unrecht gesprochen werden. Keine präzise, ausgewogene, sachliche und scharfsinnige Bloßstellung von Unrecht geschieht hier, sondern eine leidenschaftliche, mitreißende, programmatische, aufrüttelnde Rede wird gehalten; vielleicht als eines der letzten Mittel, die Verstockung einzelner aufzubrechen.
Eine christliche Konfliktkultur muss wohl auch dieses Mittel kennen, leidenschaftlich das mit Gott Unvereinbare hinauszuschreien, an Uneinsichtige zu appellieren und ihnen die letzten Konsequenzen ihres Verhaltens drastisch vor Augen zu führen. Wo das nichts hilft, verhärten und verdeutlichen sich nur jene Fronten, die vorher schon da waren.
Es gibt für den Glauben Gegensätze, die unvereinbar sind. Wenn diese im Alltag zunächst von geringfügiger Bedeutung sind, führen sie im großen Stil zur Katastrophe. Die Missachtung von Religion, eine allgemeine Heuchelei und Engstirnigkeit sind nach der Heiligen Schrift dramatische Herausforderungen für einen Christen. Das kann nicht heruntergespielt werden, ohne gleichzeitig die eigene Berufung zur Nachfolge Jesu zu verleugnen. Man muss sich stellen. Jetzt.