In der aktuellen Diskussion über „Führen und Leiten“ tritt der Begriff Leadership in den Vordergrund, genauer gesagt Servant Leadership bzw. Dienendes Führen.
Theologische Anknüpfungspunkte
Dabei kann man sehr gut an die Bibelstelle Lk 22,25-30 (parallel) anschließen: „Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste, und der Führende soll werden wie der Dienende.“ ...
Auch das Zweite Vatikanische Konzil gibt einige Anregungen, Führungskonzeptionen in der Kirche weiterzudenken, insbesondere in Bezug auf die dreifache Verhältnisbestimmung von Communio fidelium, Communio hierarchica und Communio ecclesiarum.
Wenn man dies also weiterdenkt und mit aktuellen Theorien zu erfolgreicher, effizienter Führung in Verbindung bringt, kommt man zu einem gewandelten Verständnis von Kirchenleitung, und zwar nicht mehr als „Herrschaft“, sondern als Führung im Sinn von Servant Leadership.
Unterscheidungen
Derzeit löst Servant Leadership verstärkt den Begriff des Managements ab. Leadership betont ein Stück mehr die nötige Vision, das Wissen um Ziele, die Berücksichtigung der konkreten Umstände; Management fokussiert mehr die Administation, die Verwaltung, deren Aufgaben auch situationsunabhängig zu erfüllen sind.
Leadership ist umfassender. Sie ist situationsbedingt. Dass ein Leader natürlich eine anzuerkennende Funktion bzw. ein Amt innehat, ist relativ unwichtig. Es kommt auf den Auftrag, auf die konkreten Umstände, auch auf die Beziehung zwischen Führendem und Geführten an, die durch die gemeinsame Sache viel mehr miteinander verbunden sind, als es durch ein Über- und Untergeordnetsein realisiert wäre.
Um Servant Leadership auszuüben muss man keine charismatische Führungspersönlichkeit sein. Ein solches Führen beinhaltet Eigenschaften und Fähigkeiten, Skills, an denen man arbeiten und die man auch erlernen kann.
Des Weiteren sind konkrete Verhaltensweisen, situative Faktoren, Beziehungen zu den Geführten und die Wirkung von Führenden auf die Geführten bzw. auf die geführten Teams oder Organisationen zu beachten.
Dazu passt das Konzept einer „transaktionalen Führung“. Gemeint ist, dass es dabei zu einem „Austausch von Leistungen“ kommt. Zielvereinbarungen, Aufgaben, Delegationen von Verantwortung, Leistungskontrolle, Belohnung, negative Belohnung, Anreize prägen diesen Führungsstil. Dies ist jedoch weiterzuschreiben in Richtung eines „transformationalen“ Stils, wobei die Geführten den Sinn und Zweck ihrer Arbeitsaufträge durch ein mitreißendes und motivierendes Leitungsverhalten des Leaders verinnerlichen und verstärken können. Klar: Hier spielt das Beziehungsphänomen in der Führung eine wichtige Rolle.
Führung ist …
Führung ist als Prozess zu verstehen. Es geht also um mehr als Eigenschaften und Fähigkeiten.
Führung funktioniert in gewisser Weise gegenseitig. Es geht um einen wechselseitigen Prozess gegenseitiger Beeinflussung von Führenden und Geführten auf der Basis eines Auftrags und mit der Perspektive, diesen möglichst gut zu erfüllen.
Ein solches Führungsverständnis ist kooperativ und partizipativ. Natürlich bleibt die formale Führungsposition erhalten. Führung bedeutet auch hier eine absichtliche Einflussnahme zur Erreichung der gemeinsamen Ziele. Und das ist nicht diskutierbar.
Acht Dimensionen von Servant Leadership
1.Empowerment – Übertragung von Verantwortung
Hier geht es um die Befähigung von Mitarbeiter/innen, bei Entscheidungen aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten und Persönlichkeiten zu partizipieren. Dienendes Führungsverhalten übergibt Verantwortung und Entscheidungskompetenzen in einem klaren Rahmen. Die Geführten werden motiviert, vorhandene Fähigkeiten, Autonomie, Selbststeuerung, Informationsbeschaffung, Kommunikation zu entwickeln. Grundlage dafür ist das Vertrauen der Führungskraft in den Wert, die Fähigkeiten, Lernpotentiale der Personen, die geführt werden.
2. Accountability – Verantwortungszuschreibung
Grundlage ist eine klare Kommunikation von Erwartungen, Zielen und Vereinbarungen. Dazu hat der Leader auch Feedback zu geben bezüglich der erfüllten Leistung, im Blick auf die Ergebnisse, auf die erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Erfüllung von Aufgaben. Das soll sich durch Beachtung, emotionale Wertschätzung, Akzeptanz und Entscheidungspartizipation förderlich auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Arbeitsatmosphäre auswirken.
3. Standing Back – Bescheidenheit
Im Sinne Dienender Führung wird ein Leader bevorzugen, Anerkennung und positive Resonanz als Teamerfolge zu teilen oder ganz im Hintergrund zu bleiben. Die Haltung der Bescheidenheit gehört zu den wichtigen Eigenschaften eines Leaders.
4. Humility – Demut
Hier geht es um das Verhältnis der Führungskraft zu eigenen Fähigkeiten, Leistungen, Schwächen und Grenzen. Demut hilft bei einer realistischen Selbstwahrnehmung und bei der Anerkennung der eigenen Begrenztheiten. Zugleich ermöglicht sie, Hilfe und Kritik anzunehmen und sich selbst dadurch weiter zu entwickeln.
5. Authenticity – Authentizität
Dies setzt bei einem Leader eine realistische Selbsteinschätzung und Reflexion voraus, denn es geht um die Selbsterkenntnis eigener Werte, Vorlieben und Bedürfnisse. Diese sind bedeutsam, wenn jemand authentisch sein will. Denn das handeln nach außen soll ja der inneren Überzeugung entsprechen. Das erfordert Offenheit, die es aber zugelich erleichtert, wahre Gefühle und Motivationen zu erkennen und damit umzugehen - immer in Bezug auf den feststehenden Auftrag.
6. Courage – Mut
Ein Leader ist bereit, Herausforderungen und Schwierigkeiten anzunehmen, Gewohnheiten infrage zu stellen und auch Risiken einzugehen, die neue Ideen und Wege mit sich bringen: Freilich, man muss davon überzeugt sein.
7. Forgiveness – Versöhnlichkeit
Hier geht es um Fehlerfreundlichkeit. Dienendes Führungsverhalten zeichnet sich durch Toleranz und Versöhnlichkeit aus, und gerade das macht den Geführten Mut. Nachtragendes, kleinliches Führungsverhalten wäre ein Widerspruch.
8. Stewardship – Verantwortung
Ein Leader ist bereit, eigene Bedürfnisse und Interessen im Sinne des gemeinsamen Wohls und des Wohlergehens vieler zurückzustellen. Dabei ist er tatsächlich ein Vorbild, und zwar als Persönlichkeit und in seiner Rolle, sogar über das Aufgabengebiet hinaus.
Probleme
Mögliche Probleme eines solchen Dienenden Führungsverhaltens sollen nicht verschwiegen werden.
Dienendes Führungsverhalten kann missverstanden werden, in dem Sinn, dass die Vorgesetzten gar nicht als Führungskräfte wahrgenommen werden. Das mag an ihrer Bescheidenheit liegen, aber auch an den Persönlichkeiten von Mitarbeiter/innen, die auf ein anderes Führungsverhalten mehr ansprechen würden.
Ein weiteres Problem kann die hohe emotionale Beanspruchung von Führungskräften sein. Wenn man sich selbst zurückstellt und stattdessen eine Vielzahl unterschiedlicher Ansprüche im Sinne des gemeinsam zu erreichenden Zieles koordinieren möchte, kann dies überfordern. Das kann einerseits zu Stress und im schlimmsten Fall zu Burnout führen, andererseits kann es Führungskräfte dazu verleiten, manipulativ zu werden.
Schließlich gibt es ein Problem in Rollen-theoretischer Perspektive. Es können sich Konflikte durch kollidierende Ansprüche ergeben, weil im Modell von Servant Leadership auch außenstehende Lebenskontexte hineinschwingen.
Dienende Führung ist kein Patentrezept für alles. Aber sie ist heute - vor allem in kirchlichen Kontexten - die angemessenste Form, Leitung auszuüben.
(Inspiriert durch den Artikel „Servant Leadership. Theologische und Führungstheoretische Anhaltspunkte zu einem transatlantischen Fundstück“ von Florian Sobetzko.
Anhang: Fragebogen zu Servant Leadership
Empowerment
1 Mein Vorgesetzter stellt mir die Informationen zur Verfügung, die ich brauche, um meine Arbeit gut zu machen.
2 Mein Vorgesetzter ermutigt mich, meine Talente zu nutzen.
3 Mein Vorgesetzter hilft mir dabei, mich weiterzuentwickeln.
4 Mein Vorgesetzter ermutigt seine Mitarbeiter zu neuen Ideen.
5 Mein Vorgesetzter lässt mir Raum, Entscheidungen zu treffen, die meine Arbeit erleichtern.
6 Mein Vorgesetzter ermöglicht mir, Probleme selbstständig zu lösen, anstatt mir einfach zu sagen, was zu tun ist.
7 Mein Vorgesetzter gibt mir reichlich Gelegenheit, neue Fähigkeiten zu erlernen.
Standing back
8 Mein Vorgesetzter hält sich lieber im Hintergrund und überlässt es anderen, für die Arbeit gelobt zu werden.
9 Mein Vorgesetzter ist nicht auf Anerkennung oder Belohnung aus, wenn er etwas für andere tut.
10 Mein Vorgesetzter scheint sich über den Erfolg von Kollegen mehr zu freuen als über seinen eigenen.
Acountability
11 Mein Vorgesetzter macht mich für die Aufgaben, die ich ausführe, verantwortlich.
12 Für meine Leistungen bin ich vor meinem Vorgesetzten verantwortlich.
13 Mein Vorgesetzter macht mich und meine Kollegen dafür verantwortlich, wie wir unsere Aufgaben erledigen.
Forgiveness
14 Mitarbeiter, die bei ihrer Arbeit Fehler gemacht haben, werden von meinem Vorgesetzten noch lange kritisiert (r)
15 Mein Vorgesetzter bleibt hart gegenüber Leuten, die ihn bei der Arbeit verärgert haben. (r)
16 Meinem Vorgesetzten fällt es schwer, vergangene Fehler zu vergeben. (r)
Courage
17 Mein Vorgesetzter geht auch dann Risiken ein, wenn er sich nicht sicher ist, ob er von seinem Vorgesetzten Unterstützung erhalten wird.
18 Mein Vorgesetzter geht Risiken ein und tut das, was in seinen Augen getan werden muss.
Authenticity
19 Mein Vorgesetzter geht offen mit seinen Grenzen und Schwächen um.
20 Mein Vorgesetzter ist oft von Dingen berührt, die in seinem Umfeld passieren.
21 Mein Vorgesetzter ist bereit, seine Gefühle auch dann zu zeigen, wenn dies unerwünschte Folgen hat.
22 Mein Vorgesetzter teilt seinen Mitarbeitern seine Gefühle offen mit.
Humility
23 Mein Vorgesetzter lernt aus Kritik.
24 Mein Vorgesetzter versucht, aus der Kritik seines Vorgesetzten zu lernen.
25 Mein Vorgesetzter gesteht Fehler gegenüber seinem Vorgesetzten ein.
26 Mein Vorgesetzter lernt aus den unterschiedlichen Ansichten und Meinungen anderer.
27 Wenn jemand Kritik übt, versucht mein Vorgesetzter, daraus zu lernen.
Stewardship
28 Mein Vorgesetzter hebt immer wieder die Wichtigkeit hervor, das Wohl der Allgemeinheit im Blick zu haben.
29 Mein Vorgesetzter hat eine langfristige Vision.
30 Mein Vorgesetzter betont immer wieder die gesellschaftliche Verantwortung unserer Arbeit.