Empfehlungen für die Anderssprachigen-Seelsorge
Empfehlungen für die Anderssprachigen-Seelsorge
Die Bedeutung der Migrantengemeinden für die erste Migrationsgeneration
Migrantengemeinden sind keine bloßen Pendants zu „normalen“ Pfarreien, die lediglich für Zuwanderer den Gottesdienstbesuch in anderen Sprachen gewährleisten. Sie entsprechen noch weiteren Bedürfnissen der Migranten.
Viele Zuwanderer leiden quasi unter den Herausforderungen eines Kulturschocks und oftmals unter Einsamkeit. In diesem Kontext stellen Migrantengemeinden einen „geschützten Raum“ dar, in dem der Kulturschock abgefedert wird und Zuwanderer ihre mitgebrachten Kompetenzen weiterhin anwenden können, um sich damit migrationsrelevante Ressourcen und Informationen anzueignen und sich sozial zu vernetzten. Beides hilft ihnen, besser mit den Herausforderungen der Migration umzugehen. Besonders wichtig sind gute sozialen Beziehungen innerhalb der Gemeinden. Sie leisten praktische Hilfestellungen, emotionale Unterstützung und kompensieren damit einen Teil des Verlustes, der sich für die Migranten durch das Zurücklassen der Heimat und ggf. der Familie ergeben hat.
Aktives Engagement von Freiwilligen fördern
Von den Migrantengemeinden profitieren jene Mitglieder am meisten, die durch aktives Engagement die eigenen Kompetenzen erweitern und neue soziale Beziehungen eingehen. Wer sich für ein solches Engagement interessiert, sollte jedenfalls dazu animiert werden. Dabei muss berücksichtigt werden, dass eine anonyme Aufforderung, z.B. während der Gottesdienste, nicht ausreicht, um neue Freiwillige zu gewinnen. Besser ist eine persönliche Ansprache.
Freiwillige vor Überforderung schützen
Volontäre tragen dazu bei, dass die Migrantengemeinden mehr sind als austauschbare Orte der Ausübung religiöser Pflichten. Durch ihr Engagement und das Organisieren von sozialen Aktivitäten machen sie das Gemeindeleben dynamisch und fördern damit gleichzeitig die soziale Vernetzung anderer Mitglieder. Ein Wegfallen von Freiwilligen bedeutet daher einen Verlust für die gesamte Gemeinde. Aus diesem Grund ist es ratsam, die Freiwilligenarbeit möglichst attraktiv zu gestalten und die Volontäre vor Überforderung zu schützen – und Teams aufzubauen.
Türöffner etablieren
Bereits gut Integrierte sollen Neuankömmlinge oder schlecht Vernetzte proaktiv ansprechen. Solche Türöffner spielen eine zentrale Rolle bei der sozialen Integration von Mitgliedern, denen der Einstieg in das Gemeindeleben schwer fällt. (Freilich gibt es auch Personen, die keinen Einbezug in die Community anstreben. Das soll respektiert werden.)
Durch Aktivitäten die soziale Vernetzung in den Gemeinden fördern
Damit Migranten die Möglichkeit haben, sich untereinander zu vernetzten und auch außerhalb bereits bestehender Cliquen und Netzwerke Kontakte herzustellen, sollen Aktivitäten gesetzt werden, die eine soziale Durchmischung fördern. Beispiele hierfür sind gemeinsame Ausflüge, Exerzitien oder das Organisieren von Events. Die Art der Aktivitäten sollte sich an den Interessen der Gemeindemitglieder orientieren.
Vernetzung mit anderen Gemeinden und Institutionen fördern
Gemeinsame Projekte und Aktivitäten mit anderen Migrantengemeinden und „normalen“ Pfarreien können die soziale Vernetzung über die eigene Gemeinschaft hinaus fördern. Dadurch haben Migranten die Möglichkeit, überbrückende soziale Kontakte zu etablieren und ihr Sozialkapital zu erweitern. Auch die Zusammenarbeit mit anderen kirchlichen, privaten und staatlichen Institutionen kann dazu dienen, neue Ressourcen und Handlungsspielräume zu erschließen und damit die Herausforderungen der Migration besser zu bewältigen.
Dienstleistungen an den Bedürfnissen der Mitglieder orientieren
Die untersuchten Migrantengemeinden stellen für ihre Mitglieder verschiedene religiöse und säkulare Dienstleistungen bereit, die sehr geschätzt werden und angesichts der Herausforderungen der Migration eine große Bedeutung haben. Was unternommen wird, soll sich jedenfalls an den Bedürfnissen der Betroffenen orientieren.
Vollständige Fusionen mit Pfarreien sind ungeeignet
Da den Migrantengemeinden eine andere soziale Funktion zukommt als „normalen“ Pfarreien, ist es nicht ratsam, sie vollständig in die Territorialpfarreien zu integrieren, auch wenn dies aus theologischer und wirtschaftlicher Sicht sinnvoll erscheint.
In ihren eigenen Gemeinden können sich selbstständig engagieren und für die Migrationsherausforderungen sinnvolle Aktivitäten und Dienstleistungen etablieren. Zudem finden sich hier Personen („soziale Rezeptoren“), die dafür offen und gewillt sind, Zuwanderer mit geringen Kenntnissen der Deutschen Sprache und der lokalen kulturellen Gepflogenheiten in ihren Freundeskreis aufzunehmen und intensive soziale Beziehungen mit ihnen einzugehen, die sogar denen in einer Familie ähneln können. Diese Personen vermitteln den Migranten ein Gefühl von Heimat und leisten ihnen ggf. materielle sowie emotionale Unterstützung. Oft handelt es sich dabei um bereits gut etablierte Migranten, die die Situation im Herkunftsland kennen und für Neuzugezogene eine kulturelle Brücke in das neue Residenzland herstellen können.
Zwar würden durch Fusionen der Migrantengemeinden mit den Territorialpfarreien auch die „sozialen Rezeptoren“ in die neuen Gemeinden umgesiedelt. Dabei ginge jedoch der „geschützte Raum“ verloren, der es Migranten ermöglicht, mit ihren mitgebrachten Kompetenzen selbstwirksam zu handeln und verantwortungsvolle Aufgaben zu übernehmen.
Multikulturelle und mehrsprachige Migrantengemeinden sind möglich
Bereits heute besuchen Migranten aus verschiedensten kulturellen Kontexten z.B. englischsprachige Gemeinden. Teilweise verfügen sie nur über geringe oder überhaupt keine Kenntnisse der englischen Sprache. Trotz dieses Nachteils profitieren auch sie vom geschützten Raum der Communitys, solange sie sich in einer anderen Sprache mit anderen Mitgliedern der Gemeinde verständigen können. Dies weist darauf hin, dass Migrantengemeinden ihre zentrale Funktion im Migrationskontext auch dann noch erfüllen können, wenn sie ethnisch, sprachlich und kulturell durchmischt sind.
Aufgrund dieser Beobachtung scheint es möglich, Migrantengemeinden verschiedener Zuwanderergruppen miteinander zu fusionieren, solange sie sich miteinander verständigen können und sich nicht feindlich gegenüberstehen. Vermutlich würde in solchen sprach- und kulturübergreifenden Gemeinschaften die Zusammenarbeit zunächst erschwert, längerfristig ergibt sich dadurch jedoch vielleicht die Möglichkeit, interkulturelle Kompetenzen zu fördern.
Flexibilität der Strukturen erhalten
Die Suche nach geeigneten Strukturen für die Anderssprachigen-Seelsorge der Zukunft gestaltet sich schwierig, weil die Bedingungen und Bedürfnisse verschiedener katholischer Migrantengruppen unterschiedlich sind. Sie unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf ihre rechtliche und ökonomische Situation, sondern auch in Bezug auf ihre demografischen Merkmale, auf ihr religiöses Selbstverständnis sowie auf viele andere Faktoren. Wichtiger als eine einheitliche strukturelle Grundlage ist, dass die verschiedenen Migrantengruppen und ihre Seelsorger auch in Zukunft genug Gestaltungsfreiräume haben, um flexibel auf die sich verändernden Bedürfnisse reagieren zu können.