Das "Modell Poitiers gibt es seit 1995. Als Grundlage dafür gilt Canon 516 § 1 CIC: Wenn das Recht nichts anderes vorsieht, wird der Pfarrei die Quasipfarrei gleichgestellt, die eine bestimmte Gemeinschaft von Gläubigen in einer Teilkirche ist und einem Priester als eigenem Hirten anvertraut wird, die aber wegen besonderer Umstände noch nicht als Pfarrei errichtet ist.
Es geht darum, neue Möglichkeiten für Kirche-Sein zu eröffnen. Paroikia: Das war zur Zeit der Urkirche der Begriff für die Wohnstatt eines Fremden, der neben den Häusern der Ortsbevölkerung gelebt hat. Damit sollte symbolisiert werden: Die Christen wohnen neben den Ortsansässigen, weil sie eben bei Christus wohnen. Dabei sind sie eben nahe den Häusern der Menschen. Daraus ergibt sich die Frage für heute: Was ist die zeitgemäße Form von Nähe? In Poitiers, einer Diözese mit sehr vielen, sehr kleinen Pfarren, die nicht mehr mit eigenen Pfarrern besetzt werden konnten, wurde die Frage gestellt: Was wird aus uns, Herr Bischof?
Das führte zu den Überlegungen:
Was braucht die Kirche um zu leben?
Antwort: Zeugnis (Verkündigung), Gebet, Dienst (an den Menschen).
Um dies vor Ort zu gewährleisten, wurden in Poitiers Equipes locales d animation (örtliche Gemeinden) gegründet. Dahinter steht die Überzeugung, alle Christen, nicht nur die Hauptamtlichen, sollen und können den Menschen nahe sein. Ihre Berufung dazu stammt aus Taufe (und Firmung). Diese örtlichen Gemeinschaften sind nicht dazu da, um einem Priester zu helfen, sondern um den Glauben zu leben.
Eine Equipe besteht aus fünf Personen: einem Gesamtkoordinator, einem Schatzmeister (diese beiden werden gewählt), einem Verantwortlichen für Gebet und geistliches Leben, einem Verantwortlichen, der die Freude am Evangelium "kultivieren" soll, einem Verantwortlichen, der sich um Notleidende kümmert. Diese drei zusätzlichen Personen werden aufgrund ihrer Charismen von den Gewählten "gerufen".
Die Equipes sind auf drei Jahre bestellt, eine einmalige Verlängerung ist möglich. Einzige Voraussetzung der Zugehörigkeit zu einer Equipe ist die Taufe (Wiederheirat wäre kein Problem). Jede Equipe soll von einem Priester begleitet werden. Die Gründung der Equipe erfolgt in einem Gottesdienst durch den Bischof.
Die Equipes sind nicht da wegen eines Priestermangels, sondern aufgrund des Vertrauens, dass Gottes Gnade, die er dem Menschen durch Taufe (und Firmung) schenkt, wirkt. Gott ist es, der ruft. Menschen antworten hier konkret diesem Ruf, indem sie für eine Equipe bereit sind.
Die örtliche Equipe gibt der ganzen Gemeinde Zeugnis durch ihr gemeinschaftliches Leben: vor allem durch die monatlichen Treffen mit Gebet, Planungen und die Art der Zusammenarbeit. Equipes bilden sich, weil der Glaube Menschen zusammenführt. Der Glaube bewirkt Gemeinschaftsbildung bzw. Gemeindebildung. Gemeinde ist aber als Netz von Personen zu verstehen, die die Erfahrung des Glaubens miteinander teilen. Das steht im Gegensatz zu einem Gemeindeverständnis, das einen Ort und ein Programm in den Mittelpunkt stellt.
Die Mentalität von Equipes: Es geht um Empfangen und Weitergeben, nicht um "wir machen". Die Menschen werden "anerkannt" (anerkannt sein ist "être reconnu"); man geht auf Menschen zu in der Haltung "in der Kirche gibt es keine unnützen Knechte". Jeder wird anerkannt. Man will für alle da sein, sucht Beziehung und Kontakte auch mit all jenen, die nicht zur Kirche kommen; man pflegt eine Barmherzigkeit für Ungleichzeitigkeit. Das bedeutet auch: Barmherzigkeit, Toleranz, Nachsicht gegenüber Personen mit unterschiedlichen kirchlichen Richtungen, mit Eigenarten usw.
Diese Equipes sind eingebettet in einen "Sektor" (entspricht in etwa Seelsorgeräumen). Diese wurden bereits 1993 eingerichtet und werden von einer Equipe pastorale geleitet. In den Sektoren gibt es nicht nur einzelne Gemeinden, sondern auch Verbände und andere Gruppierungen. Sektoren sind verantwortlich, dass die einzelnen Gemeinden und kirchlichen Orte die katholische Weite bewahren und in Verbindung bleiben.
Es geht dabei um eine Teilhabe von Laien an der Mission der Kirche auf ihre eigene Art, d.h. nicht als Ersatz oder Konkurrenz für die Priester, sondern gemäß ihrer eigenen Berufung. Sie haben Laiendienstämter inne, die gemäß Ministeria quaedam im Jahr 1973 in Poitiers eingeführt wurden. Diese müssen gemäß Ministeria quaedam genau definiert sein, für die Gemeinde vor Ort notwendig sein, sie müssen eigenverantwortlich und von der Kirche anerkannt sein und sie werden für eine begrenzte Dauer verliehen.
Die dritte Ebene ist die Pfarre, besser gesagt, die Möglichkeit, dass sich Sektoren in Pfarren umwandeln. Dabei geht es nicht um eine technische, strategische Umwandlung, um Pfarren neuen Stils, für die derzeit noch Kriterien ausgearbeitet werden. Denn es ist wichtig, dass Pfarren und Pfarrer nicht so verstanden werden wie es früher einmal war und wie es heute nicht mehr zukunftsweisend wäre. Damit diese alten Ideen begrifflich nicht assoziiert werden, ist man dabei, neue Wörter zu suchen.
Leitung: Diesen Begriff gibt es so nicht in der französischen Sprache. Man spricht - besonders im Zusammenhang mit dem "Modell Poitiers" von "animer" / "animation". Dahinter steht, dass Menschen Verantwortung für die Qualität des Lebens, für die Qualität der Pastoral übernehmen. "Leiten" bedeutet in der französischen Sprache eher ein Zusammenspiel. Es beruht auf Vertrauen und auf klaren Vorgaben in einer dynamischen Wechselwirkung.
Im CIC auf deutscher Sprache findet sich 101mal das Wort "Leitung". Im Lateinischen werden durchaus verschiedene Begriffe verwendet. Wichtig für eine Leitung ist es, Wesentliches von Unwesentlichem zu unterscheiden: Was braucht Kirche zum Leben? Das "Modell Poitiers" ist kein Modell für die Weltkirche, aber es ist inspirierend.