Überlegungen zu Klerikern und Gemeindeleitung in der Kirche
1. Eine Bestandsaufnahme
1) Mexiko hat 100 Mio. Einwohner, jährlich kommt eine Million dazu. 60 Mio. sind Arme. In den letzten zwei Jahren haben Drogenkriege 30.000 Tote erfordert. Die Gesellschaft lebt in Angst. Diese Angst selbst ist eine pastorale Herausforderung für christliche Gemeinschaften. Allerdings spielt dies in den Pfarren keine Rolle, sondern wird an vielen anderen Orten der Gemeinschaftsbildung wahrgenommen.
2) Etwa 70% der Bevölkerung sind katholisch, Tendenz abnehmend. Es gibt keine zivilrechtliche Erfassung und keine Statistik diesbezüglich. 6-8% der Bevölkerung gehen zur Sonntagsmesse. Es gibt 90 Diözesen, 6.100 Pfarren, ungefähr 6.000 Priester, von denen viele nicht in Pfarren sind, sondern in Schulen und anderswo. Es gibt keine hauptamtlichen Laien. Eine Pfarre hat zwischen 12-15.000 Gläubige, dazu einen Priester. Arme Pfarren können bis zu 30.000 Gläubige haben. Auf diesem Hintergrund stellt sich die Frage, was ein schwerer Priestermangel ist (vgl. c. 517 § 2 CIC) ganz anders als in Europa. Denn was normal ist, wird nicht als Mangel empfunden.
3) Der c. 517 § 2 CIC ist in Mexiko praktisch unbekannt und kein Thema.
4) Communida bedeutet Gemeinschaft und Gemeinde gleichzeitig. Dieser Begriff fehlt im CIC, wo nur von Pfarre die Rede ist. Pfarre wird in Mexiko verstanden als Gemeinschaft von Gemeinden. In einer Pfarre gibt also eine Vielzahl kleinerer Gemeinden unterschiedlichster Art, die vor Ort agieren.
5) Es gibt unterschiedliche Typen von Pfarren. Einige ähneln dem Bild einer Pfarrgemeinde in Deutschland. Das sind wenige kleine Mittelschicht-Pfarren, die über ausreichend Finanzen verfügen. Hier ist "Kult - Klerus - Kirchenraum" wichtig. Hier gibt es eine "Kerngemeinde" und "Fernstehende". Eine Pfarre als Gemeinschaft von Gemeinden Dabei handelt es sich zumeist um ländliche Großpfarren mit 30-40 Dorfgemeinden. Viele davon haben eine eigene Kapelle. Für die Dorfgemeinden ist Eigenverantwortung selbstverständlich. Es gibt aber auch in der Großstadt immer mehr Pfarren als Gemeinschaft von Gemeinden, bedingt durch das ständige Bevölkerungswachstum. Menschen organisieren sich zumeist in Wohnvierteln, erreichen einen Begegnungsraum oder auch eine Kapelle; und plötzlich sind in einer Pfarre einige solcher kleinen "Gemeinden" entstanden. Die pastoralen Dienste werden vor Ort in diesen kleinen Gemeinden wahrgenommen (z.B. Sakramentenvorbereitung mit jenen Leuten, die vor Ort da sind). Organisiert wird dies auf Ortsversammlungen. Hier wird besprochen und beschlossen, wer was tun soll. Wenn Konflikte auftreten, ist man bei Lösungen sehr fantasievoll und versucht, die Harmonie zu bewahren. Das Leitbild der Lombardi-Bewegung (Bewegung für eine bessere Welt) passt ziemlich gut für eine "Pfarre als Gemeinschaft von Gemeinden". In jedem Wohnviertel ist ein pastorales Team für die entsprechenden pastoralen Dienste vorgesehen. Wichtig ist die Kooperation mit den Pfarrern (die in Mexiko alle zehn Jahre wechseln). Weil auch sehr motivierte Teams nach gewisser Zeit müde werden, werden von der Pfarre Angebote für Schulungen und "Auffrischungen" gerne angenommen. Derzeit gibt es in manchen Diözesen ein "neues Bild". Dabei bemüht man sich, diese pastoralen Teams zu Subjekten von neu zu gründenden Basisgemeinden zu entwickeln. Basisgemeinden selbst befinden sich in einer Art Neubeginn. Ihr Problem ist derzeit Überalterung, Feminisierung (wenn Männer fehlen, fallen Themen aus) und ihre Pfarrzentrierung, denn die Transmission des Glaubens und der Werte des Evangeliums läuft oft woanders. Bezüglich sozialer Projekte: Hier sind die Pfarren auf die Kooperation mit anderen angewiesen. Sie können dies nicht selbst leisten.
2. Die derzeit sensiblen Themen in der Pastoraltheologe in Mexiko Bei diesen Themen gibt es keinen Konsens. Sie werden jedoch immer wieder in einem kommunikativen Miteinander zur Sprache gebracht. 1) Die Forderungen der c. 528 bis 530 des CIC sind unmöglich durchzuführen. Man beobachtet, dass dieses Recht mit der Realität nicht übereinstimmt. Hier schreibt der Codex ein Leitbild der Vergangenheit fest, wo Priester quasi mit einer kleinen Gemeinde "verheiratet" und ihr guter Hirte waren, der dem einen Verlorenen nachzugehen hat. Heute scheint es eher so, dass der Hirte 99 Verlorenen nachgehen müsste, was er allerdings nicht alleine kann; daher braucht es die Mitarbeit und die Mitverantwortung der Laien. 2) Finanziell lebt jede Pfarre von den Beiträgen der Gläubigen. Davon ist die Pfarrarbeit, aber auch der Lebensunterhalt des Priesters und der von ihm abhängigen Personen zu gewährleisten. 10% erhält der Bischof; zusätzlich hat dieser Einnahmen bei der Kollekte der Firmmessen. Nun könnte man die finanzielle Absicherung in den Vordergrund stellen und einer Kommerzialisierung der pastoralen Leistungen betreiben. Die Pfarre wäre dann eine Servicestelle... Aber die Versammlung von Apereceida mahnt dazu, Sauerteig zu sein, Solidarität zu üben, sich an der Not der Armen zu orientieren, von denen wir das Evangelium lernen. 3) Die Gesellschaft in Mexiko ist gewohnt, dass Behörden und Ämter unzuverlässig und weit weg sind. Die Menschen müssen sich immer schon selbst organisieren. Das sind sie auch in der Kirche gewohnt. Derzeit stehen wir vor einem Epochenwechsel. Es verändert sich die Praxis von Wirtschaft, Politik, die Einstellung zur Sexualität, das soziale Miteinander, die Jugend, die Kommunikation, auch die Religion. Z.B. die Bürgerbeteiligung in der Politik korrespondiert dabei innerkirchlich mit der Frage der Laienbeteiligung in der Pastoral. Die Veränderung von Religion bedeutet, dass es neue religiöse Ausdrucksformen braucht, um die Beziehung des Göttlichen inmitten des Lebens zu wahren. 4) Paroikia heißt "nahe den Häusern", bedeutet nahe den Menschen. Wie kann dies heute gehen? Die Pfarre braucht neue und verschiedene Gemeindebenen für diese Nähe. Dies wird nicht bezweifelt, das Wie wird allerdings gesucht. Das Bild vom "Guten Hirten" ist wahrscheinlich überholt. Die Strategie des Paulus mit der Gründung von Gemeinden ist inspirierender. Dies kann auch dazu führen, die Praxis der Urkirche neu zu bedenken, z.B. Hauskirchen mit 20-30 Personen anzudenken, die eben in Verbindung mit der Pfarre entstehen. Wichtig ist die Nähe bei den Menschen: das Leben teilen, eine gemeinsame Analyse der Gesellschaft und ihre Herausforderungen, Bibel teilen, konkretes Planen, gemeinsames Essen. Solche Hauskirchen können Wohnviertel-, Schul- oder Berufs-orientiert gegründet werden.
3. Wichtig ist der Paradigmenwechsel von Klerus-Laien zu Gemeinde-Dienste Voraussetzung ist das Miteinander-Teilen der Ostererfahrung, die Gemeinschaft begründet. Dann soll diese Gemeinschaft sich fragen, welche Dienste vor Ort es braucht und wer dies übernehmen kann. Über diese Erfahrungen und Beobachtungen hinaus führt dies zu Fragen der Priesterausbildung: Welche Kompetenzen brauchen wir? Wie können sie auf eine solche Kooperation eingestellt werden? Welche persönlichen Lebens- und welche pastoralen Vorstellungen sind dabei zu fördern? Stellt sich die Frage nach neuen Ämtern, z.B. nach einer Beauftragung zum Zelebrieren? Abschließend ein Beispiel aus einer Diözese: Für 100.000 Menschen wird ein Team aus Priestern und Laien eingesetzt, um die pastoralen Aufgaben wahrzunehmen. Ziele, Konzept waren klar. Das Problem war die Teambildung, die monatelang gedauert hat, letztlich aber funktioniert.