Befürchtungen und Notwendigkeiten
Die Situation
Heute lebt die Welt in unserer unmittelbaren Nachbarschaft. Unsere Zeit wird zu Recht „age of migration“ genannt. In Österreich leben rund 1,5 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Auf den Straßen tummeln sich Menschen aus allen Kontinenten und mit unterschiedlichsten Lebensentwürfen. Unsere Gesellschaft ist ein lebhaftes, buntes Mosaik voller Ressourcen, Chancen und Herausforderungen.
Leider wird diese Pluralität unserer heutigen Gesellschaft (wie in vielen anderen europäischen Ländern) nicht immer als Chance und Bereicherung wahrgenommen. Laute, schrille und Angst machende Töne prägen oftmals die politische Diskussion; sie schüren Ängste und verstärken damit die Ausgrenzung von Migrant/innen. Das „Humanvermögen“ der Zuwanderung scheint in der Diskussion noch immer nicht angekommen zu sein. Denn wir hören wenig davon, welche Talente und Fähigkeiten, welche Erfahrungen und welche erweiternden Blicke Österreich für seine Zukunft in der globalisierten Welt eigentlich erhält.
Die Schlüsselfrage ist: Wie begegnen wir der Tatsache einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft?
Diese Pluralität kann eine Bereicherung, aber auch eine Quelle von Konflikten sein. Sie erhöht den gesellschaftlichen Verständigungsbedarf.
Bei der Frage, wie diese gesellschaftlichen Prozesse positiv gestaltet werden können und das Zusammenleben von Menschen unterschiedlichster Herkunft gelingen kann, sind sowohl die Aufnahmegesellschaften als auch die Zugewanderten gefordert. Aber Vielfalt funktioniert, wenn es einen gemeinsamen Nenner gibt. Vor allem sind das Werte: die uneingeschränkte Achtung der Menschenwürde und der Menschen-, Frauen-, und Kinderrechte, Toleranz, die Akzeptanz der Grundprinzipien unserer Verfassung.
Notwendigkeit einer umfassenden Willkommenskultur
Die Caritas begrüßt alle (politischen) Bemühungen um eine „Willkommenskultur“. Jedoch schmerzlich ist, dass der Begriff „Willkommenskultur“ in der politischen Debatte vor allem in Bezug auf die Attraktivität Österreichs für „High Potentials“ verstanden wird. Mit der Rot-Weiß-Rot-Karte sollen die besten Köpfe ins Land geholt werden.
Eine Willkommenskultur ist aber auch für bereits hier lebende Menschen mit und ohne Migrationshintergrund zu fordern. Die österreichische Gesellschaft muss lernen, Österreich als Einwanderungsland zu begreifen. Denn eine funktionierende Willkommenskultur braucht Haltung. „Sie ist nur dann effektiv und vor allem glaubwürdig, wenn sich die Grundhaltung der Menschen in Bezug auf Migration zum Positiven hin verändert.“1
Daher muss eine Integrationspolitik ebenso darauf achten, welche Gruppen in unserem Land Sorgen und Ängste haben, wenn es um Zuwanderung geht. Dabei richtet sich der Blick auch auf jene Menschen in unserem Land, die selbst an den Rand gedrängt sind, die sich gleichsam als Entwurzelte in ihrer Heimat erleben. Diese sehen Zuwanderung häufig als Gefahr, noch mehr an den gesellschaftlichen Rand gedrängt zu werden.
Integrationspolitik ist also wesentlich mit Sozialpolitik für alle Menschen in Österreich zu verbinden, besonders für jene, die am Rand stehen oder an den Rand gedrängt werden.
Chancen für Pfarren
Hier können die Pfarren zu einem verantwortungsvollen Mitgestalter des Gemeinwesens werden. Echtes Miteinander (oder zumindest ein vernünftiges und wertschätzendes Nebeneinander) entsteht durch einen Austausch zwischen Einheimischen und Zuwander/innen: einem Austausch von Werten, von Wissen, von Erfahrung. Pfarren können ein Ort des Willkommens, eine wertvolle Stütze für neu zugewanderte Personen sein, z.B. als Stützpunkte für Eltern-Kind-Runden. Diese sind eine große Hilfe, vor allem wenn das soziale Unterstützungsnetzwerk schwach ist. Die Sorgen und Herausforderungen, die ein Baby bzw. Kleinkind mit sich bringt, sind für alle Menschen gleich, egal woher sie kommen. Solche Begegnungsformen bergen eine große Chance, einander kennen zu lernen und voneinander zu lernen.
Kontakt schafft Sympathie
Wir erleben in der täglichen Caritas-Arbeit immer wieder, dass die Angst vor Nicht-Österreicher/innen dort am größten ist, wo der/die Fremde (noch) namenlos bleibt. Dort, wo Menschen konkrete Gesichter bekommen, wo Kontakt entsteht, schmelzen Vorurteile und Ängste meist schnell. Die Caritas unterhält im Auftrag des Bundes und der Länder 32 Flüchtlingshäuser. Wir machen immer wieder die Erfahrung: Nur über konkrete Beziehungen – über konkrete Gesichter – lassen sich Ängste überwinden. Wir versuchen, jedes Haus möglichst gut in ein Dorf, in eine Pfarrgemeinde, in die Nachbarschaft zu integrieren.
Auch unsere 73 Integrationsprojekte – von den österreichweiten Lerncafés, über das Mädchenzentrum Peppa in Wien bis hin zum Projekt „Tanz die Toleranz“ (einem über einige Wochen dauernden Tanzprojekt Jugendlicher unterschiedlicher Herkunft) – sind letztlich Angebote der Begegnung. Manchmal entstehen Freundschaften. Und das ist sicherlich eine gute Nachricht.
Umgang mit Spannungen
Aber freilich kann es immer wieder zu Spannungen kommen. Hier gilt es, klar zu unterscheiden: Was sind religiöse Themen und Fragen; und wo wird nur vordergründig mit einem religiösen Scheinmäntelchen gearbeitet? Das ist schon in den christlichen Kirchen nicht einfach, somit braucht es auch bei anderen Glaubensgemeinschaften den kritischen zweiten Blick. Und dieser soll gesetzt werden! Meist sind es patriarchale und weniger religiöse Fragen, an die wir hier stoßen. Beim Projekt „Tanz die Toleranz“ erleben wir nicht wenige Väter, die ihren Töchtern das Tanzen in der Nähe von österreichischen Jugendlichen verbieten wollen … – Es braucht manchmal viel Kraft, um auch nur Kleinigkeiten zu bewegen.
Als weiteres Beispiel sei ein Grazer Caritas Kindergarten erwähnt, den viele Kinder aus 32 verschiedenen Nationen mit nicht-deutscher Muttersprache besuchen. Lieder und Tänze aus den Herkunftsländern der Kinder sind im Kindergartenalltag integriert. Eine interkulturelle Mitarbeiterin begleitet die Gruppen. Neben vielen Chancen und Möglichkeiten für ein Miteinander stoßen die Kindergartenpädagoginnen im Kontakt mit den Eltern auch immer wieder an ihre Grenzen. Etwa, wenn Vereinbarungen nicht eingehalten werden, obwohl diese schriftlich und mit Übersetzung getroffen wurden oder bei unterschiedlichem Erziehungsverhalten, wie das Strafen von Kindern. Diskussionspunkte ergeben sich auch bei geschlechterspezifischem Rollenverhalten, wenn etwa einem Jungen von den Eltern vermittelt wird, dass er sich beim Aufräumen im Kindergarten nicht beteiligen müsse, da dies eine Angelegenheit von Frauen sei. – Das erfordert viel Geduld, Gespräche und persönlichen Kontakt, um vom Nebeneinander zum Miteinander zu kommen.
Bei diesen Herausforderungen ist Toleranz eine grundlegende Voraussetzung dafür, dass Kontaktaufnahme auch dort gelingt, wo Menschen mit unterschiedlichen Denkrichtungen, Religionen oder Nationalitäten zusammentreffen. Gerade in ethischen, religiösen und kulturellen Belangen reagieren Menschen sehr sensibel, weil hier die Wurzeln ihrer Identität berührt werden. Diese Toleranz muss von beiden Seiten gegeben sein, und diese wird auch stets in den Caritas-Projekten eingefordert.
Erkenne dich selbst
Es ist wesentlich, sich dem eigenen Profil, der eigenen Identität bewusst zu sein, um mit anderen in Dialog treten zu können. Zudem kann ich nur etwas weitergeben und vermitteln, wenn ich darin verwurzelt bin. Das Motto der Caritas ist: „Caritas&DU“. Das bedeutet eine Einladung an alle Menschen, sich mitverantwortlich zu fühlen, dass der Nächste wahrgenommen wird und eine Zukunft hat. Jede und jeder Einzelne kann durch seinen Einsatz für Mitmenschen zu einem friedvolleren Miteinander beitragen und den merkbaren Tendenzen der Entsolidarisierung entgegenwirken.
Die Basis dafür stellt die christliche Überzeugung der unantastbaren Würde aller Menschen und der Berufung zur tatkräftigen Nächstenliebe dar.
Die Hauptaufgabe der Caritas besteht darin, Menschen in Not zu helfen, unabhängig von ihrem Geschlecht, ihrer sozialen, nationalen oder religiösen Zugehörigkeit. Caritas-Projekte verfolgen bewusst das Ziel, Begegnung und Dialog zu fördern. Deshalb führen wir unsere Projekte immer im engen Dialog mit den Betroffenen vor Ort durch. Dieser Dialog des Handelns in Form konkreter Hilfsprojekte ist eine Sprache, die in der Regel selbst Konfliktparteien (sogar im Sudan oder im Kongo) verstehen. Der Zuspruch für unsere Organisation, die Caritas, bzw. für die Lebenshaltung, die wir versuchen zu leben – wächst kontinuierlich.
Abschließend
Kardinal König sagte einmal: „Als ich jung war, konnte ich von anderen Religionen nur in Büchern lesen. Nun leben die Partner des interreligiösen Dialoges als Nachbarn und Kollegen neben uns. Wir müssen uns fragen, was es heißt, ein Katholik unter so vielen Andersgläubigen zu sein. Das wird eine der wichtigsten Fragen des dritten Jahrtausends sein.“
Unsere Aufgabe liegt darin, als „Brückenbauer/in“ zwischen Kulturen und Religionen tätig zu sein und ein wertschätzendes und aufrichtiges Miteinander zu fördern. Die vielfältige Gesellschaft soll positiv erlebt werden. Begreifen wir sie als Chance für das gleichberechtigte und friedliche Zusammenleben und den kulturellen Austausch zwischen Menschen mit verschiedener Abstammung, Sprache, Herkunft und Religionszugehörigkeit!