Migration: Ein Zeichen der Zeit
Ein zentrales Thema
Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Menschen – der Menschen unterwegs, der Migranten, Asylwerber und Gastarbeiter, all jener, die an einem neuen Ort Fuß fassen wollen – sind ebenso Freude und Hoffnung, Trauer und Angst der Jünger und Jüngerinnen Christi (vgl. Gaudium et spes 1).
Die Tatsache, dass es in unseren Tagen so viele sind, die weltweit eine neue Heimat suchen, manchmal auch nur eine Heimat auf Zeit, ist heute wirklich ein „Zeichen der Zeit“, das wir nicht nur soziologisch, sondern als Anspruch Gottes sehen und aus seiner Botschaft heraus deuten sollen.
In jeder Tageszeitung finden sich Artikel über diese Thematik; jede Fahrt mit der U-Bahn in Wien führt mit Menschen zusammen, die offensichtlich Wurzeln in einem anderen Land haben; in jeder Schulklasse – zumindest in größeren Orten – spricht man mehrere Muttersprachen. Das Phänomen der Migration begegnet uns alltäglich. Und dann kommen wir sehr schnell zu der Frage, wie das Zusammenleben von Menschen aus unterschiedlichsten Kulturen und Traditionen gelingen kann, wie in diesem Zusammenhang „Integration“ möglich und vor allem sinnvoll möglich ist und wir werden uns vergewissern, was unter „Integration“ richtigerweise zu verstehen ist.
Denn es scheint weitgehend doch so zu sein – wie der türkische Literaturnobelpreisträger Pamuk Orhan aus der Sicht eines Menschen sagen lässt, der versucht hat, sich in einem anderen Land anzupassen: „Das einzige, das man tun kann, um nicht erniedrigt zu werden, ist, zu beweisen, dass man denkt wie sie. Aber das ist unmöglich und außerdem würdelos.“
Menschen müssen bleiben können, wer sie sind. Das gilt auch im Zusammenhang mit „Integration“. Ansonsten wäre es „würdelos“.
- Ein pastorales Thema
2.1. Migration und Integration sind Bereiche, in denen es bereits viel kirchliche Mitwirkung gibt, vor allem durch caritatives Engagement und eine große Sensibilität und Offenheit in der Bildungsarbeit auf allen Ebenen.
2.2. Eine wesentliche pastorale Herausforderung im Thema Migration – Integration heißt: Partizipation. Eine Pastoral im Blick auf das Thema „Integration“ wird versuchen, Menschen zu beteiligen, ihnen dazu Möglichkeiten zu eröffnen, sie zu motivieren und einzuladen, sie diesbezüglich zu fördern und gegebenenfalls auch zu fordern.
2.3. Ein pastorales Engagement muss die Grenzen der eigenen Möglichkeiten akzeptieren. Gerade im Bereich „Integration“ gibt es viele wichtige Anliegen, die man nicht alle gleichzeitig berücksichtigen kann. Zudem braucht es nicht nur guten Willen, sondern oftmals eine vertiefte Sachkenntnis und spezielle Kompetenzen.
Die primäre Herausforderung ist der pastorale Alltag. Dabei berührt man natürlich immer wieder Fragen der sozialen Gerechtigkeit oder wie eine Gesellschaft bzw. auch eine kirchliche Gemeinschaft in christlichem Sinn handeln sollte. Doch in erster Linie geht es um die – einzelnen – Menschen. Und dann geht es eben nicht mehr um irgendjemanden von ursprünglich irgendwo, sondern um einen einmaligen, von Gott geliebten Menschen, dem man begegnet.
Ziele für Integrationsarbeit
Integration beginnt nicht nur im Herzen, sondern vielleicht noch mehr im Kopf: und zwar in der Wahrnehmung.
Dazu ein Beispiel: Acht Jugendliche haben sich im Jahr 2010 an einer pfarrlichen Fußwallfahrt nach Mariazell beteiligt. Alle sind hier geboren, haben entweder gerade maturiert oder stehen jetzt kurz davor. Ihre Eltern und Großeltern stammen aus folgenden Regionen: aus verschiedenen Bundesländern Österreichs, aus Deutschland, aus den Niederlanden, aus dem ehemaligen Niederländisch-Indonesien, aus Norwegen, Polen, Iran, Irak, Brasilien und Honduras.
Zwei davon, aus einer gemischten österreichisch-iranischen Familie sind übrigens Zwillinge, die einander auf den ersten Blick wenig ähneln. Und es geschieht immer wieder einmal, dass einer davon gefragt wird, ob er überhaupt Deutsch versteht…
Das zeigt: Integration beginnt im Kopf. Die Wahrnehmung: „Hier ist einer, der familiäre Wurzeln in einem anderen Teil dieser Welt hat“, kommt nahezu unwillkürlich. An deren Deutung aber kann man arbeiten. Nämlich: Hier ist ein Mitmensch. Und nicht: „Hier ist ein Fremder, ein Ausländer, ein Bedürftiger, einer von woanders.“
Sondern: Hier ist ein Mitmensch!
- Das ist ein Ziel: dass diese Deutung immer mehr verinnerlicht und anderen weiter-gegeben wird.
- Ein weiteres Ziel ist die Vermittlung von Informationen, Kenntnissen, Einsichten und Perspektiven, wie das Zusammenleben gelingen kann.
- Schließlich geht es um ein Bewusst-Werden, dass die katholische Kirche in Österreich selbst weltweit und darüber hinaus sehr eng mit anderen christlichen Kirchen ökumenisch verbunden sind, gerade in der Vielschichtigkeit der Fragen rund um Migration, Integration und Partizipation und außerdem versteht sich Kirche als Zeichen und Werkzeug für die Verbundenheit aller Menschen, die letztlich denselben Vater haben: Gott.
Schlussbemerkung
Das wichtigste Ziel jeglichen kirchlichen Engagements ist das Heil der Seelen. Mit „Seele“ ist der ganze Mensch gemeint, und zwar in dem, was wesentlich seine Person ausmacht. Es geht darum, dass der Mensch als ganzer Mensch das Heil findet, das Gott ihm – vielleicht durch unsere Mithilfe – schenken will.
Man sollte nicht klein von der gegenwärtigen Situation denken, weder gesellschaftlich noch kirchlich. Wenn es in der Bibel heißt (Offb 7,9): „Danach sah ich: eine große Schar aus allen Nationen und Stämmen, Völkern und Sprachen, die vor dem Thron Gottes stehen“ – dann ist diese Vision heute verwirklicht (wenn auch auf andere Art als im Zusammenhang des biblischen Textes).
Konkreter: „Und man wird von Osten und Westen und von Norden und Süden kommen und im Reich Gottes zu Tisch sitzen“ (Lk 13,29).
Diese Situation erleben wir heute in vielen Pfarren und Gemeinden in Österreich, Deutschland, der Schweiz – und auf der ganzen Welt.