Aktuelle Herausforderungen
Kirchenentwicklung richtet sich nach außen. Milieuverengung und Verbürgerlichung sind zu überwinden.
Hilfreich dazu sind die Ansätze der milieusensiblen Pastoral. Dort geht es – recht verstanden – nur bedingt um eine Zielgruppenorientierung, um bestimmte Milieus besser zu erreichen, sondern vielmehr darum, eine Art Entdeckungsreise in diese Milieus zu machen, um dort Theologie bzw. Spuren des Christlichen zu finden.
Ähnlich geht es der Sozialraum-Lebensraumorientierten Pastoral um die alltägliche Lebenswelt und den sozialen Nahraum, der von Christen mitgestaltet wird.
Eine Intensivierung dieser Pastoral ist im Community Organising erkennbar.
Naheliegend ist in diesem Zusammenhang ein Blick auf die Netzwerkpastoral, wo es viele Knotenpunkte, aber kein hervorgehobenes Zentrum gibt: Man organisiert und verbindet sich je nach Situation, je nach Notwendigkeit, je nach Aktualität.
Mit der Pastorale d‘Engendrement wird ein Stil bzw. eine Haltung beschrieben, mit der man das Evangelium in den Mittelpunkt stellt. Es geht nicht um Mitgliedergewinnung, nicht um die Institution, nicht um gesellschaftlichen Einfluss, sondern: Man will präsent sein, Beziehungen aufbauen und „absichtslos“ ein gutes Leben für jeden ermöglichen.
Der Glaube bzw. das Leben aus dem Glauben soll vertieft, intensiviert verlebendigt oder erstmals entdeckt werden. Mit einer missionarischen Strahlkraft soll ein routiniertes, verflachtes Glaubensleben überwunden werden.
Beispiele dazu bieten die Fresh Expressions of Church. Man will bestehende Gemeindeformen ergänzen. Diese Initiativen sind missional (auf Menschen ausgerichtet, die keinen Bezug zu Gott oder Kirche haben), kontextbezogen (geprägt vom Lebensgefühl der Zielgruppen), transformierend (ein Leben in der Nachfolge Jesu wird gefördert), ekklesial (die hier versammelten Menschen bilden Kirche als eigenständige Gemeinde). Eine langfristige Nachfolge und Jüngerschaft wird angezielt. Solche Initiativen werden oft von Menschen getragen, die keine Beheimatung an anderen kirchlichen Orte gefunden haben, aber ihren Glauben explizit leben wollen.
Mit ähnlichen Grundgedanken wollen Pfarreientwicklungsprogramme wie Rebuilt oder Divine Renovation Pfarren und Gemeinden erneuern und verlebendigen: aus Konsumenten sollen Jünger werden. Einerseits sind diese Ansätze sehr offen, pragmatisch, freundlich (Willkommenskultur!), andererseits liegt der Fokus auf einem traditionellen Gemeindeleben und der zentralen Rolle des Pfarrers bzw. Gemeindeleiters.
Unter dem Stichwort „Neue Evangelisierung“ wird die Notwendigkeit beschrieben, das Evangelium in Regionen zu verkünden, die im Glauben müde geworden sind.
Diesem Anliegen hat sich das Mission Manifest verschrieben, das allerdings keine Aufmerksamkeit dafür hat, was es sonst noch in der Kirche für Aufbrüche, Perspektiven, diakonische Aufträge und pastorale Zusammenhänge gibt.
Strukturelle Veränderungen schaffen neue Situationen für die Pastoral und führen zu neuen Rollenverteilungen zwischen Haupt- und Ehrenamtlichen.
Der Ansatz der Ermöglichungspastoral berücksichtigt, dass es um geeignete Rahmenbedingungen geht, die Gestaltungsprozesse fördern. In diesem Zusammenhang entdecken die Menschen jenes Engagement, das zu ihnen passt, das für ihre Lebenssituation stimmig ist. Es entwickelt sich ein neues Verständnis von Ehrenamt, das nicht langfristig und dauerhaft sein muss, sondern lebensabschnittsorientiert sein kann. Ermöglichung meint hier Empowerment, eine Ermutigung zur Selbstbestimmung der Menschen, ein Entdecken und Einbringen ihrer Charismen.
Das bedingt eine neue Form der Partizipation. Es ist der Weg von einem Mittun, zu einem Mitentscheiden. Im Rahmen einer lokalen Kirchenentwicklung führt dies zu einer Kirche der Beteiligung. Selbstverständnis und Berufsrollen Hauptamtlicher verändern sich manchmal radikal: Man wird primär Begleiter und Unterstützer von Prozessen und Vermittler von Kommunikation. Die Aufgabe der Leitung ist als Dienst an den Partizipierenden zu verstehen.
Die Kirche hat vor allem eine dienende Funktion. Sie ist für die Menschen da, und nicht die Menschen für die Kirche. Indem Kirche ein gutes Service anbietet (bei Gottesdiensten, Kasualien, Glaubenskursen, Bildungsangeboten, diakonischem Engagement, Freizeitangeboten usw.), erfüllt man einen pastoralen Auftrag: Man realisiert das Evangelium.
Der Dienstleistungsgedanke führt immer wieder zu der Frage: Was ist unsere Aufgabe hier und heute? Primär orientiert man sich dabei an den Kirchenmitgliedern und an deren Bedürfnissen. Man will positive Erlebnisse und Erfahrungen schaffe, um Freude an der Zugehörigkeit zur Kirche und eine entschiedenere Mitgliedschaft zu fördern. Wesentlich ist daher die Qualität der Pastoral.
Hilfreich hierfür sind Erkenntnisse aus der Organisationsberatung und Organisationsentwicklung, ebenso Impulse, die aus dem Marketing oder der ökonomischen Innovationsforschung kommen.
Freilich ist man gebunden an die zur Verfügung stehenden Ressourcen.
Man sucht Partnerschaften mit denen, die da sind, man nützt die vorhandenen Umstände. Wie weit kann man gehen? Ein hilfreiches Tool dafür ist die Ekklesiopreneurship Canvas.
Dienstleistung hängt mit einer verständlichen Sprache zusammen. Inwieweit eine Botschaft ankommt, entscheidet der Adressat. Dazu kommt die Bedeutung von gut gestalteten Medien, durch die das Angebot übersichtlich, verständlich, leicht erreichbar, hilfreich dargestellt und beworben wird. Dabei sind die heute digital geprägten Lebensrealitäten der Menschen zu berücksichtigen.
Der Trend zu einer deutlich kleiner werdenden Kirche scheint sich fortzusetzen. Dies soll als qualitative, geistliche Aufgabe begriffen und gestaltet werden: zum Beispiel indem man sich kreative Minderheit versteht. Oder wenn man nicht mehr „alles“ machen kann, sind jene Prioritäten zu setzen, die das Evangelium hier und jetzt verwirklichen lässt.
Im Sinne einer Ökumene der dritten Art zwischen Religiösen und Nicht-Religiösen wird man mit allen Menschen guten Willens zum Wohl der Gesellschaft zusammenarbeiten. Man braucht den eigenen Standpunkt weder durchzusetzen noch zu relativieren. Man ist da und vollbringt, was der Geist eingibt, was zu tun ist.
Zusammengefasst aus:
Tobias Kläden, Lässt sich Kirche entwickeln? Fünf Herausforderungen aktueller Prozesse der Kirche in: Zeitschrift für Pastoraltheologie, 41. Jahrgang 2021/1, S. 131-152.
Kirchen sind Orte, an denen existenzielle Momente des Lebens gefeiert werden und Gott um seinen Beistand gebeten wird.
Für den christlichen Kirchenraum gibt es zwei Grundrissformen:
Beide bringen verschiedene theologische Aspekte zum Ausdruck. Mit dem längsgerichteten Raum verbindet man das gemeinsame Auf-dem-Weg-Sein zum Altar. Wenn die Kirche mehr ein Zentralraum ist, steht die Versammlung um den Altar im Vordergrund (communio).
Altar
Der Altar ist ein Tisch. Er ist das Zentrum der Versammlung der christlichen Gemeinde und Symbol für Jesus Christus. Als Ort der eucharistischen Feier erinnert er an Leben, Leiden und Hingabe Jesu. Deshalb kann er sich in seiner Gestaltung auf den Tisch des Abendmahls beziehen oder an das Opfer Jesu erinnern. Seine Gestaltung und sein Material sind aufwendig und wertvoll.
Ambo
Der Ambo ist ein Lesepult. Er ist der Ort der Verkündigung (Heilige Schrift, Predigt, Gebete der Gläubigen). In älteren Kirchen gibt es eine Kanzel, wo (gut sichtbar) der Ort der Verkündigung war. Nach dem 2. Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) wurde der Ambo in vielen Kirchen wieder eingeführt.
Kanzel
In vielen Kirchen findet man eine Kanzel, von der seit dem Spätmittelalter bis zum 2. Vatikanischen Konzil gepredigt wurde. Weil hier das Wort Gottes verkündet wird, ist sie künstlerisch anspruchsvoll gestaltet. Die bildhaften Darstellungen zeigen oft die vier Evangelisten, die zwölf Apostel oder wichtige kirchliche Persönlichkeiten der Verkündigung
Tabernakel
Der Tabernakel ist eine versperrbare Lade. Hier werden die konsekrierten Hostien aufbewahrt. Weil nach katholischem Verständnis in der Eucharistie der Herr gegenwärtig ist, ist der Tabernakel oft kostbar gestaltet.
Häufig befindet sich der Tabernakel in einer Seitenkapelle oder in einer Nische. Üblicherweise beugt man davor das Knie und grüßt und verehrt damit Christus.
Ewiges Licht
Vor oder nahe dem Tabernakel hängt eine Lampe, in der das ewige Licht leuchtet. Das Licht drückt das Bekenntnis zu Christus aus und ist das Zeichen seiner Gegenwart.
Kreuz
Das Kreuz ist das zentrale Symbol, Erkennungs- und Bekenntniszeichen des christlichen Glaubens. Das Kreuz kann die Form von zwei einfachen Balken haben oder auch die Skulptur des gekreuzigten Christus tragen. In diesem Fall nennt man es „Kruzifix“. Christus kann hier auf unterschiedliche Weise dargestellt sein, beispielsweise in aufrechter Haltung und die Auferstehung andeutend oder in sich zusammengesunken und auf die Passion verweisend.
Taufbecken
Bei der Taufe wird der Mensch in die christliche Gemeinschaft aufgenommen und das Band zwischen Gott und dem Menschen geknüpft.
Taufbecken sind meist aus Stein oder Bronze gearbeitet und können mit Reliefs versehen sein. Beliebtes Thema ist die Taufe Jesu im Jordan.
Das Taufbecken ist meist nahe beim Eingang oder im Altarraum der Kirche aufgestellt.
Weihwasserbecken
Beim Eintreten in den Kirchenraum bekreuzigen sich Christ/innen mit Wasser aus dem Weihwasserbecken und erinnern sich damit an die Taufe.
Beichtstühle
Oftmals stehen an den Seiten des Kirchenschiffs oder im Eingangsbereich mehrere Beichtstühle, die an hölzerne Schränke erinnern können.
Der Beichtstuhl ist ein Ort der Aussprache und Versöhnung der Menschen untereinander und mit Gott – hier empfangen Menschen das Sakrament der Versöhnung (Bußsakrament). In neueren Kirchen fehlen solche Beichtstühle, dafür findet man zumeist den Zugang zu einem Beicht- bzw. Aussprachezimmer.
Glocke
Die Glocke trägt die Botschaft des Glaubens nach außen, sie öffnet damit den Raum in die Welt. Sie verkündet den Menschen: Gott ist da.
(nach einem Text von Maximiliane Buchner)
Die Kirche – Ort der gottesdienstlichen Versammlung, des Gebets und der Stille
Der Altar ist Mittelpunkt eines Kirchenraumes. Noch heute wird dies in älteren Kirchen am schön gestalteten Hochaltar mit seinen Bildern, Statuen und dem Tabernakel deutlich. Kirchen mit einem Hochaltar haben heute in der Regel zusätzlich einen Altar, der in seiner Form eher einem Tisch ähnlich ist. Um diesen Altartisch, dem „Tisch des Brotes“, versammelt sich die Gemeinde im Gedenken an das letzte Abendmahl Jesu zur Feier der „Eucharistie“. In dieser Feier schenkt Jesus Christus seine Hingabe am Kreuz, zugleich ist er in den Gestalten Brot und Wein gegenwärtig.
Der Ambo gilt heute als zweiter Mittelpunkt des Kirchenraumes. Er ist der „Tisch des Wortes“. Vom Ambo aus wird das Wort Gottes, wie es in der Bibel aufgeschrieben ist, verkündet. Gott selbst ist in seinem Wort gegenwärtig. Vom Ambo aus wird das Wort Gottes in der Predigt ausgelegt. Früher gab es dafür die Kanzel, die meistens erhöht an einem Pfeiler angebracht noch heute in vielen Kirchen zu sehen ist. Sie ist oft mit den Symbolen der Evangelisten verziert.
Der Tabernakel ist der Aufbewahrungsort für das eucharistische Brot, in dem Jesus Christus gegenwärtig bleibt. Deshalb ist der Tabernakel auch besonders künstlerisch gestaltet. Katholische Christen beten vor dem Tabernakel, weil sie an die bleibende Gegenwart Christi unter der Gestalt des Brotes glauben.
Vor dem Tabernakel brennt das so genannte Ewige Licht in einem roten Glasgefäß. Es brennt als Zeichen der bleibenden Gegenwart Jesu Christi ohne Unterbrechung Tag und Nacht, außer am Karfreitag, dem Todestag Jesu.
Im Altarraum hängt oder steht ein Kreuz. Es ist Zeichen des Todes und der Auferstehung Jesu Christi. Das Kreuz ist das zentrale Symbol für den christlichen Glauben an die Erlösung durch Jesu Tod und Auferstehung. Mit dem Zeichen des Kreuzes beginnen und beenden Christen ihr Gebet. Sie bezeichnen sich auch mit diesem Zeichen beim Betreten der Kirche und tauchen vorher ihre Finger in das Weihwasserbecken.
Als weiteres Zeichen für die Botschaft von der Auferstehung Jesu steht eine Osterkerze im Altarraum.
Das Taufbecken ist der Ort, an dem die Taufe gespendet wird. Taufbecken und Weihwasserbecken (am Kircheneingang) sind beides Zeichen der Erinnerung an die eigene Taufe und die damit verbundene Aufnahme in die Gemeinschaft der Glaubenden, die Kirche. Daran denken die Gläubigen beim Betreten des Kirchenraumes, wenn sie sich mit dem Weihwasser bekreuzigen.
In vielen katholischen Kirchen findet man Bilder und Statuen. Auf den Bildern werden zum Beispiel Szenen aus der Bibel oder von Ereignissen aus dem Leben von besonderen Christen, die als Vorbilder im Glauben und als Heilige verstanden werden, dargestellt. Bei Statuen sind die Personen oft mit Attributen (Gegenständen) dargestellt, die einen Bezug zum Leben der Heiligen haben. Katholische Christen rufen Heilige im Gebet als Fürsprecher bei Gott an.
In der katholischen Kirche hat die Verehrung Marias, der Mutter Jesu, eine besondere Bedeutung. Sie wird deshalb in vielfältiger Form in den Kirchen dargestellt: als Trostspenderin, als Trauernde (Pieta), als Königin usw.
Die Leidensgeschichte Jesu, die Passion, wird in den Kirchen den Gläubigen bildlich im Kreuzweg vor Augen gestellt. Diese Darstellung soll helfen, sich in das Erlösungsgeschehen zu vertiefen und es sich immer wieder zu vergegenwärtigen.
Der Beichtstuhl, der oft einem Schrank ähnelt, ist der Ort, an dem Menschen mit ihrer Schuld vor Gott treten und vom Priester die Lossprechung von ihrer Schuld zugesagt bekommen. Der Beichtstuhl wird heute in vielen Kirchen durch ein Beichtzimmer ergänzt, in dem auch ein längeres seelsorgerliches Gespräch möglich ist.
Kirchen
Oft auch Gotteshäuser genannt, waren seit jeher Ort der Versammlung der Christen, Orte des Gebets und der besonderen Nähe Gottes.
Menschen gehen in die Kirche, um miteinander Gottesdienst zu feiern oder um sich allein in Stille und im Gebet Gott zuzuwenden.
Die Kirchengebäude und ihre Ausgestaltung geben immer etwas wieder vom Glaubensverständnis der jeweiligen Zeit, in der die Kirche gebaut oder auch neu gestaltet wurde. Sie erzählen davon, wie Menschen ihr Leben im Vertrauen auf Gott verstanden und gestaltet haben.
Kirche
Kirche ist aber mehr:
Es ist das Gebäude und es ist die Gemeinschaft der Gläubigen.
Kirchen sind Orte, an denen die Freuden, Sehnsüchte und Ängste der Menschen Raum haben.
Kirche ist Gemeinschaft von Glaubenden, in der die Freuden, Sehnsüchte und Ängste der Menschen Raum haben.
Kirchen sind Orte des Fragens, der Gottsuche und des Findens.
Kirche ist Gemeinschaft von Glaubenden, in der Fragen, die Suche nach Gott und die Begegnung mit Gott Raum haben.
Kirchen sind Orte, an denen sich Himmel und Erde berühren können.
Kirche ist Gemeinschaft von Glaubenden, in der sich Himmel und Erde begegnen können.
Zu diesen Orten und in diese Gemeinschaft laden wir Sie herzlich ein.
Der Herr
segne dich
und behüte dich.
Der Herr lasse sein Angesicht
über dich leuchten
und sei dir gnädig.
Der Herr wende sein Angesicht dir zu
und schenke die Segen.
Amen.
(nach Numeri 6, 22-26)
Quelle: Erzdiözese Freiburg
Bei einer Beauftragung für Mitarbeiter/innen in Katechese oder Pastoral sind fünf Grundkompetenzen zu beachten. Bei diesen geht es in erster Linie um eine menschliche und christliche Persönlichkeitsentwicklung, sodann in zweiter Linie um Sachliches.
Das Hören auf das Wort Gottes ist für jemanden, der in Katechese bzw. Pastoral engagiert ist, Voraussetzung und Fundament jeglichen Wirkens. Man ist Glaubende/r, Christ/in, Mitarbeiter/in, aktives Mitglied der Kirche. Wer mitarbeitet, ist eingeladen, der geoffenbarten Wahrheit in Jesus Christus zu begegnen, und zwar mit dem ganzen Leben, mit Beziehungen, mit allen Erfahrungen, inmitten dem Bezug zur Welt und zur Wirklichkeit, die jemanden umgibt.
Es geht um folgende Dimensionen:
1. Persönlichkeit
Glaube und Leben sind eins. In dieser Korrelation, in dieser Spannung, wird eine christliche Identität entfaltet.
Mitarbeitende sind berufen, die eigenen Glaubenserfahrungen zur Sprache zu bringen und Zeugnis von der je eigenen Hoffnung zu geben. Dies umfasst Grundhaltungen, konkretes Verhalten, Gefühle, Motivation, Tätigkeiten. Es geht um ein Arbeiten an sich selbst. Die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Einsicht zur immer neuen Umkehr sowie Beziehung mit Jesus Christus sind wesentlich. Man lebt aus einem Bewusstsein der Gegenwart Gottes und aus liturgischen, sakramentalen Quellen.
Darin entwickelt sich ein apostolisches Bewusstsein. Man entdeckt die eigene missionarische Berufung aus der Taufe inmitten der Kirche. Man versteht, dass die Kirche trotz mancher Probleme, tatsächlich universales Heilssakrament ist. Konkret bemüht man sich um ein Mitleben mit der Kirche vor Ort.
Wichtig ist eine Grundhaltung, die aus der eigenen Persönlichkeit entspringt: nämlich dass man Begleiter/in sein möchte, nicht Besserwissende/r.
2. Wissen
Gemäß 1 Petr 3,15 ist man imstande, Zeugnis von der eigenen Hoffnung zu geben. Es geht also nicht bloß um Informationen und lexikalisches Wissen, sondern um die Anwendung des Wissens (in dem Maß, in dem man es sich angeeignet hat), auf die eigene Glaubensentwicklung. Man lebt das eigene Stück Heilsgeschichte.
Sodann verlangt diese Wissenskompetenz eine organische und systematische Kenntnis der christlichen Botschaft, in deren Zentrum Jesus Christus ist.
Und es geht um die Fähigkeit, die Wahrheit der Offenbarung in Korrelation mit dem Leben der Menschen von heute zu bringen. Das wiederum braucht jene Fachkompetenzen, die die konkrete pastorale bzw. katechetische Aufgabe mit sich bringt.
3. Praktische Kompetenzen
Ziel einer Vermittlung / Weitergabe / Kommunikation des Glaubens ist es nicht, dass danach Inhalte auswendig wiedergegeben werden können, sondern dass Menschen mit der Interpretation dieser Inhalte auf die persönliche Situation das je eigene Leben betrachten, verstehen und gestalten. Man kann dies als Hilfe zur Heranbildung einer christlichen Identität verstehen, zu der auch ein Gefühl der Zugehörigkeit zur Kirche gehört.
Zu den praktischen Kompetenzen gehört auch Pädagogik in dem Sinn, dass Mitarbeitende organisatorische, methodische, didaktische Kompetenzen als Handwerkszeug benötigen. Sie müssen imstande sein, einen Leitfaden zu finden für die konkreten pastoralen und katechetischen Herausforderungen. Es genügt nicht, das Evangelium nur zu wiederholen, sondern es muss kreativ stets neu vorgeschlagen werden im Blick auf die Menschen von heute, hier und jetzt.
Zu den fachlichen Kompetenzen gehört es auch, Gruppen animieren zu können, ein Klima des Vertrauens zu schaffen, Menschen willkommen zu heißen.
Sodann ist es wichtig, die Zeichen der Zeit lesen zu können und in Bezug auf andere Mitarbeiterinnen kooperationsfähig zu sein.
4. Beziehungsfähigkeit
Diese bezieht sich zunächst auf die Zusammenarbeit mit anderen Engagierten. Getragen wird dies durch ein Bewusstsein der Teilhabe an einem globalen kirchlichen Projekt, nämlich das Evangelium zu leben und zu verkünden. In diesen Gruppen / Teams sollen die eigenen Charismen eingebracht werden – und man erhält Anteil an den Charismen anderer. Das ist für jegliche Zusammenarbeit hilfreich und unterstützt auch das individuelle Engagement.
Zur Beziehungsfähigkeit gehört es, aktiv präsent zu sein, gerade hier und jetzt in diesem konkreten katechetischen / pastoralen Geschehen. Und das bedeutet: Andere annehmen, zuhören, Orientierung geben, motivieren, leiten, unterstützen, ermutigen, Wertschätzung vermitteln. All dies hilft, ein positives Klima zu gestalten.
Die Glaubwürdigkeit der Person (der Mitarbeitenden in Katechese bzw. Pastoral) hat einen sehr großen Einfluss auf das Geschehen. Man ist Vermittler/in des Gesprächs zwischen Gott und dem Menschen nicht nur durch das, was man sagt, sondern noch viel mehr durch das, was man ist.
Zu erinnern ist an eine Grundhaltung der Beziehungsfähigkeit: nämlich andere mit dem Herzen sehen zu können, das Gute in ihnen zu schätzen, zu erkennen, was jemand auch noch für andere bedeutet und lebt.
5. Kenntnis des Umfeldes
Das Umfeld sind zunächst die Menschen, mit denen man zu tun hat.
Wer in Pastoral bzw. Katechese mitarbeitet, steht mitten in der Welt. Es ist notwendig zu wissen, in welchem Umfeld man sich bewegt, welche Lebensgeschichte, welche Fragen, welche Vorlieben die Menschen haben und in welchen Beziehungen sie stehen.
Sodann gehört zu einer Kenntnis des Umfeldes auch ein Wissen über den konkreten Ort, an dem man ist, mit all seinen Charakteristiken, Eigenarten, spezifischen Situationen. In dieser Welt-Kompetenz geht es darum, Glaube, Leben und Kultur miteinander in Korrelation zu bringen.
(Zusammenfassung aus dem Buch von Salvatore Soreca, La formazione di basi per i catechisti, Rom 2014, 125-150.)
Fünfzehn Gebote für Streitgespräche unter Glaubensbrüdern
1. Beteilige dich an Glaubensgesprächen und Diskussionen. Das heißt: Informiere dich, vertiefe dich in die fragliche Sache, bereite dich vor. Und dann rede. Denn wer stets schweigt, darf sich nicht beklagen, wenn man nichts von ihm weiß oder ihn nicht beachtet oder ihn für die geltende Meinung in Beschlag nimmt.
2. Die Kunst des Disputierens, das wussten die Alten besser als wir, beginnt zunächst und zuerst mit dem Hören, dem geduldigen und aufmerksamen Hinhören und Zuhören.
3. Versuche darüber hinaus den anderen zu "verstehen", dich in ihn hineinzuversetzen. Wie ist seine Lage? Welche Herkunft bestimmt ihn, welche Motive treiben ihn, warum spricht er gerade so und nicht anders?
4. Sage deine Meinung offen, aber taktvoll; bestimmt, aber versöhnlich. Lass den anderen Einblick gewinnen nicht nur in die Ergebnisse deines Denkens, sondern auch in die Wege und in die deiner Sprache.
5. Rechne mit Widerspruch. Lass dich von ihm anspornen, aber nicht umwerfen. Kannst du ihn nicht ertragen, dann sollst du erst gar nicht beginnen zu reden.
6. Diskussionen sind nur dann sinnvoll, wenn man auf die überraschende Möglichkeit eingestellt ist, dazuzulernen. Suche also nicht ein vorgeprägtes Feindbild bestätigt zu bekommen, sondern öffne dein Herz, lass deinen Blick ich weiten, mache dich auf in "neues Land".
7. Gib deinem "Gegner" einen Vertrauensvorschuss (und hüte dich vor flinken Unterstellungen). Auch er hat sich bemüht, auch ihm geht es um den Dienst am Glauben, auch er will fair behandelt werden.
8. Du und dein Gegner - vergesst nie das Fragmentarische eurer Auseinandersetzung. Das Feld des Glaubens ist weit. Ihr werdet nicht alle Flüsse befahren können und alle Täler erforschen. Und Gott bleibt ein Geheimnis.
9. Achte auf deinen Sprachgebrauch. Sprache "verrät" das Denken - in des Wortes doppelter Bedeutung. Harte und böse Worte stehen nicht für eine gute Sache; oft wäre man in der Sache vielleicht einig, nicht aber in den Worten. Sprachwelten stehen heute viel entschiedener gegeneinander als früher.
10. Mit deinen Erfahrungen und Einsichten, mit deinem Leben sollst du hinter deinen Worten stehen. Lerne deshalb die Not und die Seligkeit der Menschen und Gemeinden kennen, dann merkst du, dass du angefordert und gebraucht wirst. Das wird dich davor bewahren, zum "Schreibtischtäter" des Glaubens zu werden.
11. Wettere nicht bloß, schimpfe nicht nur, sieh doch nicht immer schwarz. Bemühe dich zu unterscheiden und auch das Positive in der Meinung deines Kontrahenten zu sehen. Vielleicht ist auch er, trotz allem, eine der trinkbaren Quellen in unserer dürftigen Zeit. Und außerdem: Keine Epoche der Geschichte und kein Mensch waren und sind von Gott ganz verlassen. Das ist die Lehre der Schrift und Dogma der Kirche.
12. Versuche, in dir und deinem Gesprächspartner dem Wirken des heiligen Geistes auf die Spur zu kommen; der zum Gehorsam bewegen kann und zum Widerspruch; der oft in und durch Diskussionen gewirkt hat und wirken möchte; der die Kirche "hat" und nicht sie ihn; der danach verlangt, durch dich Früchte zu bringen - für die Wandernden, die Einsamen, die Scheuen und Ratlosen.
13. Sei nicht nachtragend. Christus konnte vergeben und vergessen. So mache es auch, und gewähre dir und dem anderen die Chance eines neuen Anfangs miteinander.
14. Vergiss nicht den Humor! Der Humorvolle vermeidet den Hochmut, hat Einsicht in die eigene Begrenztheit bekommen, kann auch einmal in die liebevolle Distanz zu sich und der Umwelt gehen. Humor lockert auf und befreit. Er lässt etwas ahnen vom Glück des Reifgewordenen und von Gottes guter Hand, die alles umschließt.
15. Wenn man schon, wie du meinst, nicht miteinander reden könne -vielleicht kann man miteinander beten?
Aus: Engagierte Gelassenheit, Impulse und Orientierungen für Zukunft aus dem Glauben. Heinrich Jacob, Freiburg (Herder) 1979, S. 99f
- Mit welchem Punkt (mit welchem der Punkte) haben Sie die meisten Schwierigkeiten?
- Man könnte den Text auch im Hinblick auf jene lesen, die man innerlich abgeschrieben hat, über die man zwar redet, aber nicht mehr wirklich mit ihnen. Was wäre da zu tun?
Die Seelsorger/innen begleiten Kranke mit ihren Angehörigen und unterstützen sie in ihren manchmal belastenden Situationen. Sie tun dies im Respekt vor den jeweiligen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen der Menschen.
In der Zusammenarbeit mit den verschiedenen Berufsgruppen im Krankenhaus leisten die Seelsorger/innen ihren spezifischen Beitrag zu einer möglichen Heilung der Kranken, indem sie die existenziell spirituelle Dimension der Menschen stärken.
Die Seelsorge in Krankenhäusern und Heimen wird von der katholischen und evangelischen Kirche gemeinsam getragen und von den Spitalsträgern unterstützt (Bereitstellung von Räumen, Telefon...). (Vereinzelt gibt es auch Krankenhausseelsorge anderer Konfessionen und Religionen.) Priester und qualifizierte Laien, Männer und Frauen mit theologischen und pastoral-psychologischen Kenntnissen, sind hauptberuflich oder ehrenamtlich in diesem Dienst am Mitmenschen im Einsatz.
Dieses Angebot zum Gespräch von Seiten der Seelsorge kann auch vom Krankenhauspersonal angenommen werden.
Aus ihrer Arbeit und in ihrer Sorge um eine zukunftsweisende Landpastoral hat die Katholische Landvolkbewegung Deutschland folgende Leitsätze entwickelt:
1. Das Potenzial der Menschen auf dem Land sehen und wertschätzen
Die hohe Bereitschaft der Christen auf dem Land, sich ehrenamtlich zu engagieren, ist ein wertvolles, aber auch zerbrechliches Gut.
Wer dieses Potenzial nutzen will, muss einen Rahmen anbieten, in dem die Mitwirkenden sich menschlich bereichert fühlen, ernst genommen werden und inhaltlich mitgestalten können.
Auf viele Herausforderungen der Pastoral kann die Lösung nicht von oben her und für alle gleich gefunden werden. es braucht das vertrauen, dass die Menschen vor Ort Lösungen finden, gemäß dem Subsidiaritätsprinzip der katholischen Soziallehre.
2. Vom Geschenk vielfältiger Charismen ausgehen
Die ehrenamtlich Engagierten sind oft mit dem traditionellen Programm voll ausgelastet und es gibt wenige Freiräume für kreative Antworten auf neue Herausforderungen. Ausgangspunkt für ihr Engagement soll die Gabe des Geistes sein, die einem jeden geschenkt wird, damit sie anderen nutzt (1 Kor 12, 7). Die Kernfrage muss also lauten: „Welche Menschen mit welchen Fähigkeiten, Stärken und Interessen gibt es, um Kirche vor Ort mitzugestalten und mit Leben zu füllen?“
3. Die Leitungsaufgaben neu beschreiben
Angesichts größer werdender Seelsorgeeinheiten müssen pastorale und organisatorische Aufgaben und Zuständigkeiten, die sinnvoll nur vor Ort geschehen können, klar beschrieben werden. Es braucht in jedem Dorf verbindliche Ansprechpartner, denen Aufgaben verantwortlich übertragen werden. Dies muss den Menschen im Dorf transparent kommuniziert werden. Dazu zählen wir auch Leitungsaufgaben.
Das Verhältnis von Hauptamt und Ehrenamt muss dabei jeweils gut geklärt werden. Priester, Diakone, Gemeinde- und Pastoralreferenten sollen ihre Aufgabe immer stärker im Qualifizieren, Begleiten und in der Förderung von Vielfalt und eigenständigem Handeln vor Ort sehen.
4. Sich auf vielfältige Formen der Glaubenserfahrung einlassen
Im Bereich von Liturgie und Spiritualität müssen Laien und Priester lernen und dazu ermutigt werden, sich neben der Eucharistie und den klassisch noch praktizierten Andachtsformen auf andere – von Laien getragene – Ausdrucks- und Feierformen einzulassen.
Menschen von heute haben oft einen sehr unterschiedlichen Zugang zum christlichen Glauben. Manche suchen noch danach. Deshalb stellen vielfältige Ausdrucksformen des Glaubens einen großen Reichtum dar. Dazu zählen: Wortgottesfeiern, Kinder- und Jugendliturgien, Tagzeitenliturgie, Taizégebet, Weltgebetstag, aber auch Bibelteilen, Exerzitien im Alltag, Agapefeiern und viel Formen des Im-Glauben-unterwegs-sein.
5. Ökumenisches Bewusstsein stärken
Die KLB bemüht sich im Vertrauen auf Gottes Geist um eine lebendige ökumenische Gemeinschaft. Sie zeigt Interesse und Offenheit für Anliegen, Begegnungen und Veranstaltungen der Ökumene und geht mit Mut und Zuversicht den Weg zur Einheit der Christen. Die gegenseitige Ergänzung, Entlastung und Bereicherung durch die allen Getauften geschenkten Gaben des Hl. Geistes sind unverzichtbar. Wir wünschen uns dafür mehr Mut, sowohl von den Christen vor Ort als auch von allen kirchlichen Entscheidungsträgern.
6. Das Wohl des ganzen Dorfes im Blick haben
Wir erwarten von den in der Pastoral Verantwortlichen die Bereitschaft, die heutige Lebenswirklichkeit des ganzen Dorfes wahrzunehmen. Dies ist der Boden, auf dem das Evangelium Früchte hervorbringt und in die ländliche Kultur eingeht. Die in der Kirche Engagierten lernen so, über den Kirchturm hinaus zu denken und neben der „Bestellung des Pfarrgartens“ den Blick in Richtung Dorfgemeinschaft zu weiten.
7. Das Zusammenwirken von Kirche und Kommune stärken
Die kirchlich Engagierten – vor allem in den Gremien – sollen die Kommune als Partnerin aktiv suchen und mit ihr zusammenarbeiten. Kirche und Kommune tragen eine gemeinsame Verantwortung für den ländlichen Raum. Vieles, was für ein gutes Leben auf dem Land in Zukunft wichtig ist, lässt sich nur gemeinsam angehen. Dabei muss darauf geachtet werden, dass wirklich alle Gruppierungen – auch alle kirchlichen – zusammenarbeiten.
Wenn Vernetzung gelingen soll, braucht sie Verantwortliche, die - mit dem nötigen Zeit- und Finanzbudget ausgestattet - Vernetzung in Gang bringen und sie auch längerfristig lebendig halten.
8. Sensibel werden für den diakonischen Auftrag
Auch in den Dörfern gibt es vielerlei soziale Probleme. Beispielhaft seien hier genannt: versteckte Armut, Vereinsamung, innerfamiliäre Konflikte, unzureichende Integration von Asylbewerbern und Flüchtlingen. Es braucht der örtlichen Situation angepasste Wege, um diese Menschen wahrzunehmen und diskrete und effektive Unterstützung anzubieten. Das ist Auftrag derer, die in der Kirche vor Ort Verantwortung tragen oder sich dort engagieren. Wir sehen darin auch Chancen, Menschen zum Engagement zu bewegen, die bisher kirchlich nicht aktiv sind.
9. Die Schöpfungsverantwortung leben und fördern
Bei allem, was in der Kirche vor Ort unternommen wird, muss die Verantwortung für Schöpfung im Blick behalten werden. Die Menschen vor Ort entsprechend zu sensibilisieren, ist eine ständige pastorale Aufgabe.
10. Räume für Begegnung erhalten und neu schaffen
Die Zentralisierung in den großen Seelsorgeeinheiten darf nicht zu einem Verlust an Begegnungsorten führen. Es gilt Sorge zu tragen, dass es an jedem Ort angemessene Möglichkeiten gibt, damit Menschen ihrem Bedürfnis nach Begegnung, Austausch und Gottesdienst nachkommen können (Bürgerhaus, Mehrgenerationenhaus, Jugendtreff, Dorfwirtschaft,…). Das ist eine Aufgabe für alle am Dorfgeschehen beteiligten Menschen, insbesondere für die Verantwortungsträger.
Verabschiedet von der Bundesversammlung der Katholischen Landvolkbewegung (KLB) am 25. April 2015 in Landvolkshochschule Freckenhorst, siehe dazu auch www.klb-deutschland.de.
In: Gemeinsam Kirche sein. Impulse – Einsprüche – Ideen (Arbeitshilfen 286), hg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2016, S. 64 – 66.
Dienendes Führen - Servant Leadership
In der aktuellen Diskussion über „Führen und Leiten“ tritt der Begriff Leadership in den Vordergrund, genauer gesagt Servant Leadership bzw. Dienendes Führen.
Theologische Anknüpfungspunkte
Dabei kann man sehr gut an die Bibelstelle Lk 22,25-30 (parallel) anschließen: „Die Könige herrschen über ihre Völker, und die Mächtigen lassen sich Wohltäter nennen. Bei euch aber soll es nicht so sein, sondern der Größte unter euch soll werden wie der Kleinste, und der Führende soll werden wie der Dienende.“ ...
Auch das Zweite Vatikanische Konzil gibt einige Anregungen, Führungskonzeptionen in der Kirche weiterzudenken, insbesondere in Bezug auf die dreifache Verhältnisbestimmung von Communio fidelium, Communio hierarchica und Communio ecclesiarum.
Wenn man dies also weiterdenkt und mit aktuellen Theorien zu erfolgreicher, effizienter Führung in Verbindung bringt, kommt man zu einem gewandelten Verständnis von Kirchenleitung, und zwar nicht mehr als „Herrschaft“, sondern als Führung im Sinn von Servant Leadership.
Unterscheidungen
Derzeit löst Servant Leadership verstärkt den Begriff des Managements ab. Leadership betont ein Stück mehr die nötige Vision, das Wissen um Ziele, die Berücksichtigung der konkreten Umstände; Management fokussiert mehr die Administation, die Verwaltung, deren Aufgaben auch situationsunabhängig zu erfüllen sind.
Leadership ist umfassender. Sie ist situationsbedingt. Dass ein Leader natürlich eine anzuerkennende Funktion bzw. ein Amt innehat, ist relativ unwichtig. Es kommt auf den Auftrag, auf die konkreten Umstände, auch auf die Beziehung zwischen Führendem und Geführten an, die durch die gemeinsame Sache viel mehr miteinander verbunden sind, als es durch ein Über- und Untergeordnetsein realisiert wäre.
Um Servant Leadership auszuüben muss man keine charismatische Führungspersönlichkeit sein. Ein solches Führen beinhaltet Eigenschaften und Fähigkeiten, Skills, an denen man arbeiten und die man auch erlernen kann.
Des Weiteren sind konkrete Verhaltensweisen, situative Faktoren, Beziehungen zu den Geführten und die Wirkung von Führenden auf die Geführten bzw. auf die geführten Teams oder Organisationen zu beachten.
Dazu passt das Konzept einer „transaktionalen Führung“. Gemeint ist, dass es dabei zu einem „Austausch von Leistungen“ kommt. Zielvereinbarungen, Aufgaben, Delegationen von Verantwortung, Leistungskontrolle, Belohnung, negative Belohnung, Anreize prägen diesen Führungsstil. Dies ist jedoch weiterzuschreiben in Richtung eines „transformationalen“ Stils, wobei die Geführten den Sinn und Zweck ihrer Arbeitsaufträge durch ein mitreißendes und motivierendes Leitungsverhalten des Leaders verinnerlichen und verstärken können. Klar: Hier spielt das Beziehungsphänomen in der Führung eine wichtige Rolle.
Führung ist …
Führung ist als Prozess zu verstehen. Es geht also um mehr als Eigenschaften und Fähigkeiten.
Führung funktioniert in gewisser Weise gegenseitig. Es geht um einen wechselseitigen Prozess gegenseitiger Beeinflussung von Führenden und Geführten auf der Basis eines Auftrags und mit der Perspektive, diesen möglichst gut zu erfüllen.
Ein solches Führungsverständnis ist kooperativ und partizipativ. Natürlich bleibt die formale Führungsposition erhalten. Führung bedeutet auch hier eine absichtliche Einflussnahme zur Erreichung der gemeinsamen Ziele. Und das ist nicht diskutierbar.
Acht Dimensionen von Servant Leadership
1.Empowerment – Übertragung von Verantwortung
Hier geht es um die Befähigung von Mitarbeiter/innen, bei Entscheidungen aufgrund ihrer eigenen Fähigkeiten und Persönlichkeiten zu partizipieren. Dienendes Führungsverhalten übergibt Verantwortung und Entscheidungskompetenzen in einem klaren Rahmen. Die Geführten werden motiviert, vorhandene Fähigkeiten, Autonomie, Selbststeuerung, Informationsbeschaffung, Kommunikation zu entwickeln. Grundlage dafür ist das Vertrauen der Führungskraft in den Wert, die Fähigkeiten, Lernpotentiale der Personen, die geführt werden.
2. Accountability – Verantwortungszuschreibung
Grundlage ist eine klare Kommunikation von Erwartungen, Zielen und Vereinbarungen. Dazu hat der Leader auch Feedback zu geben bezüglich der erfüllten Leistung, im Blick auf die Ergebnisse, auf die erfolgreiche oder weniger erfolgreiche Erfüllung von Aufgaben. Das soll sich durch Beachtung, emotionale Wertschätzung, Akzeptanz und Entscheidungspartizipation förderlich auf die Persönlichkeitsentwicklung und die Arbeitsatmosphäre auswirken.
3. Standing Back – Bescheidenheit
Im Sinne Dienender Führung wird ein Leader bevorzugen, Anerkennung und positive Resonanz als Teamerfolge zu teilen oder ganz im Hintergrund zu bleiben. Die Haltung der Bescheidenheit gehört zu den wichtigen Eigenschaften eines Leaders.
4. Humility – Demut
Hier geht es um das Verhältnis der Führungskraft zu eigenen Fähigkeiten, Leistungen, Schwächen und Grenzen. Demut hilft bei einer realistischen Selbstwahrnehmung und bei der Anerkennung der eigenen Begrenztheiten. Zugleich ermöglicht sie, Hilfe und Kritik anzunehmen und sich selbst dadurch weiter zu entwickeln.
5. Authenticity – Authentizität
Dies setzt bei einem Leader eine realistische Selbsteinschätzung und Reflexion voraus, denn es geht um die Selbsterkenntnis eigener Werte, Vorlieben und Bedürfnisse. Diese sind bedeutsam, wenn jemand authentisch sein will. Denn das handeln nach außen soll ja der inneren Überzeugung entsprechen. Das erfordert Offenheit, die es aber zugelich erleichtert, wahre Gefühle und Motivationen zu erkennen und damit umzugehen - immer in Bezug auf den feststehenden Auftrag.
6. Courage – Mut
Ein Leader ist bereit, Herausforderungen und Schwierigkeiten anzunehmen, Gewohnheiten infrage zu stellen und auch Risiken einzugehen, die neue Ideen und Wege mit sich bringen: Freilich, man muss davon überzeugt sein.
7. Forgiveness – Versöhnlichkeit
Hier geht es um Fehlerfreundlichkeit. Dienendes Führungsverhalten zeichnet sich durch Toleranz und Versöhnlichkeit aus, und gerade das macht den Geführten Mut. Nachtragendes, kleinliches Führungsverhalten wäre ein Widerspruch.
8. Stewardship – Verantwortung
Ein Leader ist bereit, eigene Bedürfnisse und Interessen im Sinne des gemeinsamen Wohls und des Wohlergehens vieler zurückzustellen. Dabei ist er tatsächlich ein Vorbild, und zwar als Persönlichkeit und in seiner Rolle, sogar über das Aufgabengebiet hinaus.
Probleme
Mögliche Probleme eines solchen Dienenden Führungsverhaltens sollen nicht verschwiegen werden.
Dienendes Führungsverhalten kann missverstanden werden, in dem Sinn, dass die Vorgesetzten gar nicht als Führungskräfte wahrgenommen werden. Das mag an ihrer Bescheidenheit liegen, aber auch an den Persönlichkeiten von Mitarbeiter/innen, die auf ein anderes Führungsverhalten mehr ansprechen würden.
Ein weiteres Problem kann die hohe emotionale Beanspruchung von Führungskräften sein. Wenn man sich selbst zurückstellt und stattdessen eine Vielzahl unterschiedlicher Ansprüche im Sinne des gemeinsam zu erreichenden Zieles koordinieren möchte, kann dies überfordern. Das kann einerseits zu Stress und im schlimmsten Fall zu Burnout führen, andererseits kann es Führungskräfte dazu verleiten, manipulativ zu werden.
Schließlich gibt es ein Problem in Rollen-theoretischer Perspektive. Es können sich Konflikte durch kollidierende Ansprüche ergeben, weil im Modell von Servant Leadership auch außenstehende Lebenskontexte hineinschwingen.
Dienende Führung ist kein Patentrezept für alles. Aber sie ist heute - vor allem in kirchlichen Kontexten - die angemessenste Form, Leitung auszuüben.
(Inspiriert durch den Artikel „Servant Leadership. Theologische und Führungstheoretische Anhaltspunkte zu einem transatlantischen Fundstück“ von Florian Sobetzko.
Anhang: Fragebogen zu Servant Leadership
Empowerment
1 Mein Vorgesetzter stellt mir die Informationen zur Verfügung, die ich brauche, um meine Arbeit gut zu machen.
2 Mein Vorgesetzter ermutigt mich, meine Talente zu nutzen.
3 Mein Vorgesetzter hilft mir dabei, mich weiterzuentwickeln.
4 Mein Vorgesetzter ermutigt seine Mitarbeiter zu neuen Ideen.
5 Mein Vorgesetzter lässt mir Raum, Entscheidungen zu treffen, die meine Arbeit erleichtern.
6 Mein Vorgesetzter ermöglicht mir, Probleme selbstständig zu lösen, anstatt mir einfach zu sagen, was zu tun ist.
7 Mein Vorgesetzter gibt mir reichlich Gelegenheit, neue Fähigkeiten zu erlernen.
Standing back
8 Mein Vorgesetzter hält sich lieber im Hintergrund und überlässt es anderen, für die Arbeit gelobt zu werden.
9 Mein Vorgesetzter ist nicht auf Anerkennung oder Belohnung aus, wenn er etwas für andere tut.
10 Mein Vorgesetzter scheint sich über den Erfolg von Kollegen mehr zu freuen als über seinen eigenen.
Acountability
11 Mein Vorgesetzter macht mich für die Aufgaben, die ich ausführe, verantwortlich.
12 Für meine Leistungen bin ich vor meinem Vorgesetzten verantwortlich.
13 Mein Vorgesetzter macht mich und meine Kollegen dafür verantwortlich, wie wir unsere Aufgaben erledigen.
Forgiveness
14 Mitarbeiter, die bei ihrer Arbeit Fehler gemacht haben, werden von meinem Vorgesetzten noch lange kritisiert (r)
15 Mein Vorgesetzter bleibt hart gegenüber Leuten, die ihn bei der Arbeit verärgert haben. (r)
16 Meinem Vorgesetzten fällt es schwer, vergangene Fehler zu vergeben. (r)
Courage
17 Mein Vorgesetzter geht auch dann Risiken ein, wenn er sich nicht sicher ist, ob er von seinem Vorgesetzten Unterstützung erhalten wird.
18 Mein Vorgesetzter geht Risiken ein und tut das, was in seinen Augen getan werden muss.
Authenticity
19 Mein Vorgesetzter geht offen mit seinen Grenzen und Schwächen um.
20 Mein Vorgesetzter ist oft von Dingen berührt, die in seinem Umfeld passieren.
21 Mein Vorgesetzter ist bereit, seine Gefühle auch dann zu zeigen, wenn dies unerwünschte Folgen hat.
22 Mein Vorgesetzter teilt seinen Mitarbeitern seine Gefühle offen mit.
Humility
23 Mein Vorgesetzter lernt aus Kritik.
24 Mein Vorgesetzter versucht, aus der Kritik seines Vorgesetzten zu lernen.
25 Mein Vorgesetzter gesteht Fehler gegenüber seinem Vorgesetzten ein.
26 Mein Vorgesetzter lernt aus den unterschiedlichen Ansichten und Meinungen anderer.
27 Wenn jemand Kritik übt, versucht mein Vorgesetzter, daraus zu lernen.
Stewardship
28 Mein Vorgesetzter hebt immer wieder die Wichtigkeit hervor, das Wohl der Allgemeinheit im Blick zu haben.
29 Mein Vorgesetzter hat eine langfristige Vision.
30 Mein Vorgesetzter betont immer wieder die gesellschaftliche Verantwortung unserer Arbeit.
Der LEBENSSTIL eines Menschen ist gleichsam sein innerer Kompass, mit dem er sein ganzes Leben lang auf seine Ziele zugeht. Wie entwickelt sich dieser - für jeden Menschen - einmalige Lebensstil? Welche Rolle spielt dabei die Gemeinschaft? Was ist wichtig, damit das Leben gelingt? In einer "Begegnung" zwischen der Individualpsychologie Alfred Adlers und der christilchen Spiritualität wird hier die Gestaltung eines "guten" Lebensstils herausgearbeitet, durch den ein Mensch in der Entfaltung seiner Persönlichkeit ganz er selbst sein kann - und mit dem dabei entfalteten Gemeinschaftsgefühl (christlich gesehen: mit gelebter Liebe) auch seinen Mitmenschen und der Gesellschaft insgesamt hilft, auf dem Weg wachsender Humanität voranzukommen.
Walter Krieger
Lebensstil - zwischen Psychologie und Religion
ISBN Düsseldorf 2017, 978-620-2-44082-0
Leiten vollzieht sich nicht nur durch "Leitung" im engeren Sinn, sondern in einer Vielfalt von Funktionen, Tätigkeiten und Rollen.
Funktion (Situationsbereiche)
Leitung
Beratung
Verhandlung
Mitglied in: Team Partnerschaft Gruppe Organisation Staat
|
Tätigkeiten
bewerten, beurteilen entscheiden anleiten, leiten kontrollieren
beraten (Zeitstruktur) (Funktion!) persönliche Beratung Fachberatung Problemberatung
fordern, wünschen verhandeln Standpunkte klären Übereinstimmungen, Ergebnisse, Abweichungen festhalten Planung
Bereitschaft zur Zu- sammenarbeit feststellen Ziele festlegen planen (Verhandlung) durchführen weiterleiten
|
Rollen
Führer Initiator Verhandler Folgsamer Held Anführer Müder Beobachter Begleiter Ratschläger Verständiger Sachverständiger Verständnisloser Hilfloser Helfer Idealist Koordinierer Führer Retter Besserwisser Geheimnisträger Handler Resignierer Lober Exponent Angepasster Rebell Fachmann Hofnarr Antreiber Helfer Führer Behandler
|
(Quelle: Seminar für Interventionstechnik)
Anmerkungen
In den folgenden Beiträgen finden sich Grundgedanken zum Management nach Peter F. Drucker, dem Begründer der modernen Management-Lehre. Er wurde 1909 in Wien geboren, wurde Professor in den USA und hat Regierungen, Behörden, Topmanager, Firmen, Non-Profit-Organisationen u.a. beraten.
Es geht um Organisationen – und was für ihr Leben wichtig ist. Das betrifft auch religiöse Einrichtungen, Kirchen, Diözesen, Gemeinschafen, Pfarren.
(Quelle: Peter F. Drucker, The Essential Drucker, New York 2001)
Aus ihrem „Gedenktag“ am 22. Juli wurde durch Papst Franziskus ein „Festtag“.
Maria Magdalena hat Jesus begleitet und unterstützt (vgl. Lk 8,1-3). Sie begegnet als erste dem Auferstandenen und bezeugt dies den Jüngern (Mk 16,9; Joh 20,11-18): Apostolin der Apostel!
Sie war (vermutlich) eine vom Leben gezeichnete Frau, die mit Jesus eine persönliche Heils-Erfahrung erlebt hat (Lk 8,2). In der katechetischen Überlieferung wurde sie allerdings immer wieder verwechselt, etwa mit einer Sünderin (Lk 7,36-50).
Eine Botschaft dieses Festtages: Gott schenkt einen Neuanfang; Maria Magdalena ist dafür Kronzeugin durch ihre eigene Lebensgeschichte, durch ihre Erfahrung mit Jesus, durch ihre Berichte, die über die Jahrhunderte hindurch auch uns heute erreichen.
Gestaltungselemente für diesen Festtag: www.dibk.at
Migrantenseelsorge - Hintergründe und Herausforderungen
(Quelle: missio, Werkmappe Weltkirche Nr. 139/2006: Heimat Kirche. Religiöse Identität und Migration)
Zweifache Identität
Um davon sprechen zu können, was die Migration für den Glauben bedeutet, muss zunächst klar sein, was Migration für den/die Migrant/in bedeutet. Migrant/innen sind von ihrer Herkunft und dem neuen Lebensmittelpunkt bestimmt. Sie erleben sich als Teil von hier und als Teil von dort und haben das Gefühl, in und zwischen zwei Welten zu leben: Sie vereinen in sich zwei Kulturen und gehören doch nirgends ganz dazu. Das gilt jedoch nicht nur für die erste Generation von Migrant/innen, sondern bis zu einem gewissen Grad auch für die zweite und dritte Generation. Auch sie müssen versuchen, verschiedene ethnische, kulturelle, sprachliche oder religiöse Identitäten zu vereinen. Auch sie müssen damit fortfahren, womit ihre Vorfahren begonnen haben: sich in der Gesellschaft auf sozialer, kultureller und politischer Ebene zu behaupten. Genau von dieser Lebenssituation - einem Leben in zwei Welten, in zwei Identitäten -geht eine Theologie der Migration aus.
Was versteht man unter "Migration"?
Migration muss als Phänomen der menschlichen Mobilität gesehen werden: als freiwillige oder erzwungene Mobilität oder als Flucht vor lebensgefährlichen Situationen. Was immer auch die Motive für eine Migraton sind, so gibt es doch Gemeinsamkeiten. Migration hat immer zu tun mit einem Ort: ein Ort, ein Land wird verlassen (Emigration) und ein neuer Ort wird Lebensmittelpunkt (Immigration). Das Wort "Migrant/in" vereint diese zwei Etappen des Migrationsprozesses, die am Anfang stehen: das Verlassen des Herkunftsortes und die Ankunft, das Niederlassen am neuen Ort. Es schwingt aber noch eine weitere Bedeutung mit, eine dritte Etappe: Für Migrant/innen bleibt es eine ständige Herausforderung, sich in der neuen Gesellschaft zu behaupten. Das gilt für alle Bereiche des Zusammenlebens.
Migration als Zeichen der Zeit
Die Kirche hat in den Migrant/innen immer das Bild Christi gesehen, der gesagt hat: "Ich war fremd und obdachlos, und ihr habt mich aufgenommen" (Mt 25,35). Ihre Lebensumstände sind für die Kirche also eine Herausforderung an den Glauben und an die Liebe der Gläubigen, die so angehalten werden, die von den Migrationen herrührenden Übel zu heilen. Dadurch, dass die Migrationen die zahlreichen Mitglieder der menschlichen Familie einander näher bringen, sind sie tatsächlich ein Element im Aufbau eines immer umfangreicheren und vielfältigeren Gesellschaftskörpers.
Migration und Heilsgeschichte
Wir können also das gegenwärtige Migrationsphänomen als ein sehr bedeutsames "Zeichen der Zeit" betrachten, als eine Herausforderung, die es beim Aufbau einer erneuerten Menschheit und in der Verkündigung des Evangeliums des Friedens zu entdecken und zu schätzen gilt.
Die Heilige Schrift zeigt uns die Bedeutung von all dem. Israel nahm nämlich seinen Ursprung von Abraham, der im Gehorsam gegenüber dem Wort Gottes aus seinem Land wegzog und in ein fremdes Lang ging.
Mehr noch als den Nächsten sieht der Christ im Fremden das Antlitz Christi selbst. Er wird in einer Krippe geboren und flieht als Fremder nach Ägypten. Später verbrachte er sein öffentliches Leben auf Wanderschaft, indem er durch "Städte und Dörfer" zog (vgl. Lk 13,22; MT 9,35). Als Auferstandener erscheint er, noch fremd und unerkannt, auf dem Weg nach Emmaus zwei seiner Jünger, die ihn erst beim Brotbrechen erkennen (vgl. Lk 24,35). Die Christen stehen also in der Nachfolge eines Wanderers, "der keinen Ort hat, wo er sein Haupt hinlegen kann" (Mt 8,20; Lk 9,58).
Maria schließlich, die Mutter Jesu, kann auf dieser Linie der Betrachtungen gleichfalls als lebendiges Bild der Frau unterwegs gesehen werden. Sie brachte ihren Sohn fern von zu Hause zur Welt (vgl. Lk 2,1-7) und ist gezwungen, nach Ägypten zu fliehen (vgl. Mt 2,13-14). Die Volksfrömmigkeit betrachtet Maria also zu Recht als Madonna des Weges.
Herausforderungen an eine moderne Migrant/innen-Seelsorge
In den vergangenen Jahrzehnten haben sich im Raum der Katholischen Kirche die fremdsprachigen Gemeinden bewährt. Durch Bereitstellung von Räumen in den jeweiligen Gemeinden können sich die verschiedenen muttersprachigen Gruppen treffen, um die Kommunikation untereinander aufrecht zu erhalten und zu pflegen.
Durch die Pflege ihrer Tradition haben viele Migrant/innen in muttersprachlichen Gemeinden Orientierung, Rückhalt und Lebenshilfe erfahren. Mit der Einrichtung von Seelsorgestellen für anderssprachige Gläubige hat die Kirche Antwort gegeben auf die Tatsache, dass Glaubensvermittlung und Glaubenserfahrung zu den Lebensbereichen gehören, die stark von Kultur, Sitte, Tradition und Sprache geprägt sind, und geht auf die Grundbedürfnisse der Menschen nach Beheimatung und Solidarität auf eine Weise ein, wie sie die territorialen deutschsprachigen Pfarreien allein nur schwer leisten können. (Gemeinsames Wort der deutschen Kirchen zu den Herausforderungen von Migration und Flucht/1997/Nr. 224).
In den fremdsprachigen Gemeinden wird die Universalität und die ökumenische Dimension der Kirche erfahrbar. Aus dieser Perspektive gesehen sind die muttersprachlichen Gemeinden nicht ein Angebot in Konkurrenz zu den territorialen Pfarren, sondern eine Chance, durch die das Leben der Kirche vor Ort bereichert wird. (ebd. 225).
Neue Voraussetzungen
Heute haben wir es mit einer veränderten Situation zu tun. Sie ist nicht mehr allein geprägt durch die erste Generation der Migrant/innen. Eine zweite, dritte und vierte Generation ist nachgewachsen. Die erste Generation war noch gekennzeichnet durch fehlende Sprachkenntnisse, vergleichsweise geringes Bildungsniveau, teilweise ein Leben ohne Familie, eine geplante kurze Verweildauer und eine erwartete baldige Rückkehr in die Heimat. Diese Situation hat sich völlig verändert: Aus einem zunächst geplanten "Kurzzeitaufenthalt" ist vielfach ein Daueraufenthalt geworden. Daraus erwachsen Konsequenzen für das Leben in der "neuen Heimat": Die erste Generation stand bzw. steht vor der Entscheidung für einen Verbleib in der zweiten Heimat oder die Rückkehr in die erste. Die zweite und dritte Generation hat sich bemüht, soziale Gleichstellung zu erreichen. Sie hat viele Gewohnheiten aufgenommen, aber die Pflege von Teilen der Heimatkultur beibehalten. Daher muss sie auch in ihrem religiösen Leben ihre eigene Identität finden und leben können.
In den letzten Jahren kamen zudem mehr Flüchtlinge und auch Menschen ohne Aufenthaltserlaubnis nach Europa. Unter ihnen sind viele Katholik/innen, die die Migrant/innenseelsorge künftig stärker in den Blick nehmen muss. Die fremdsprachige Seelsorge steht vor neuen Herausforderungen:
- Ein schwindendes Glaubensbewusstsein in fast allen Ländern Europas, in dessen Folge sich viele Traditionen auflösen.
- Ein wachsender Priestermangel auch in vielen Herkunftsländern, sodass kaum noch ausländische Seelsorger nach Europa kommen.
- Der Charakter der Gemeinden wird multikultureller: durch Zuwanderung aus Osteuropa, Lateinamerika, Afrika, durch Flüchtlinge und illegale Migrant/innen, durch Rotation und Pendelbewegung bei EU-Angehörigen; durch Jugendliche, die Deutsch besser sprechen als ihre Muttersprache, durch Zunahme von Migrant/innen, die im Alter nicht in ihre Heimat zurückgehen.
Zukünftig muss deutlicher werden, dass Katholik/innen anderer Muttersprache unter dem gemeinsamen Dach der Ortskirche beheimatet sind. Die Priester und hauptamtliche Laien aus den Entsendeländern sollten mehr als bisher als Brückenbauer für ihre Landsleute verstanden werden. So können sie sie ermutigen, die Veränderungen in ihrer Biographie auch als eine Berufung aus dem Glauben zu verstehen.
Eine diakonisch-advokatorische und eine seelsorglich-missionarische Aufgabe
Die Kirche, deren Wesen "durch Exodus und Migration bestimmt ist", hat angesichts der modernen Migration eine doppelte Aufgabe: eine diakonisch-advokatorische und eine seelsorglich-missionarische.
Die Kirche hat Kraft ihrer Sendung "das Recht und die Pflicht", sich überall dort einzumischen, wo Menschen leiden. Diese Einmischung kann manchmal auch gesetzliche Vorgaben in Frage stellen. Dies haben die Fälle von Kirchenasyl gezeigt. Auch wenn die Kirche in ihren amtlichen Stellungnahmen zugunsten der Migrant/innen für alle - nicht nur für die christlichen Migrant/innen - advokatorisch eintritt, so ist andererseits doch zu fragen, ob sie ihrer Anwaltsfunktion immer ausreichend gerecht geworden ist. Muss sich die Kirche künftig nicht noch stärker für bessere Bedingungen für Migrant/innen (besonders der zweiten und dritten Generation) auf dem Weg zum Bürgerrecht einsetzen? Sollte sie in Zukunft nicht intensiver vermitteln, dass die Verschiedenheit der Menschen nicht nur Ursache von Konflikten, sondern vor allem auch Quelle gegenseitiger Bereicherung ist?
Zugleich weiß die Kirche, dass "die soziale Hilfe nicht von der Seelsorge zu trennen" ist und die modernen Migrationen auch eine seelsorglich-missionarische Herausforderung darstellen.
Verdienste, Grenzen und neue Aufgaben der muttersprachlich organisierten "Ausländerseelsorge"
Rückblickend ist die Arbeit der muttersprachlichen Priester und Sozialarbeiter/innen in besonderer Weise zu würdigen: Sie haben ihre Gläubigen in der Fremde begleitet und ihnen in Diakonie und Seelsorge das Heil des Evangeliums erfahrbar gemacht.
Die vorwiegend muttersprachlich organisierte kirchliche Migrantenarbeit führte jedoch - vor allem auf der seelsorglichen Ebene - auch zu deutlichen Problemen. So fühlten sich die Pfarren für die Migrant/innen in ihrem Seelsorgebezirk häufig nicht zuständig. Auch entwickelten sich manche Migrant/innengemeinden zu einer Art "Nebenkirche" für einen nichtintegrierten Bevölkerungsteil.
Das Zentralkomitee der deutschen Katholiken hat es 1996 so formuliert: "Es gilt, das viel zu häufige Nebeneinanderherleben immer wieder aufzubrechen und Zusammenarbeit anzustreben. Manche Fehler der Vergangenheit müssen korrigiert werden. Kooperative Gemeindemodelle müssen entwickelt werden. Die Kompetenz der fremdsprachigen Gemeinden sollte auch in Anspruch genommen werden, wenn es um die Zusammensetzung von Gremien auf Diözesan- und Verbandsebene geht. Es muss zu einer institutionellen Präsenz von Katholiken anderer Muttersprache in allen einschlägigen Beiräten und Fachreferaten kommen. Vor allem müssen im gesamten Bildungsbereich, in den verschiedenen Diensten, in der Verwaltung und in der konkreten Alltagsgestaltung interkulturelle Aspekte berücksichtigt werden". (ZdK Dokument vom 31.1.96)
Neue seelsorgliche Aufgaben
Die Eigendynamik der Migration hat in den letzten Jahren zu neuen Herausforderungen geführt, die die muttersprachlich organisierte Seelsorge bislang zu wenig berücksichtigt:
- Eine zweite und dritte Generation von Migrant/innen ist herangewachsen, die z.T. eine eigene Identität entwickelt hat. Sie leben aus mehreren Kulturen und haben weder eine europäische, noch eine beispielsweise afrikanische oder lateinamerikanische Identität.
- Viele "Gastarbeiter" der ersten Generation verbringen den Lebensabend in Europa und brauchen neuen diakonische und seelsorgliche Dienste.
- Der europäische Einigungsprozess hat einerseits das Ende der Gastarbeiter-Ära besiegelt und andererseits eine neue mobilere Arbeitsmogration hervorgerufen.
- Fluchbewegungen und illegale Migration haben sich infolge der zunehmenden Globalisierung und nach dem Zusammenbruch der kommunistischen Staaten verstärkt.