Dialog für Österreich
Vorgeschichte
Im Anschluss an die Ereignisse in der katholischen Kirche in Österreich im Jahr 1995 (Kirchenvolksbegehren, Rücktritt von Kardinal Groer als Erzbischof von Wien) und die nachfolgenden Initiativen (Wallfahrt der Vielfalt 1996, Einrichtung von Ombudsstellen in den meisten österreichischen Diözesen) fand 1997 bis 1998 der "Dialog für Österreich" statt. Er hatte zum Ziel, in einer gespannten Situation die Katholiken dieses Landes auf vielfältige Weise über wesentliche Themen des Glaubens und der Welt miteinander ins Gespräch kommen zu lassen. Dabei sollte Polarisierung überwunden und Wertschätzung für den jeweils anderen aufgebaut werden. Zugleich sollte dieser "Dialog" auch über die katholische Kirche hinaus mit anderen christlichen Kirchen, mit Experten, mit gesellschaftlichen Grupperungen, mit politischen Partien stattfinden.
Dieser "Dialog für Österreich" wurde also in einer Krisensituation der Kirche in Österreich geboren und war Instrument eines Krisenmanagements, das die Bischöfe in die Hand genommen haben. Sie ließen sich von zahlreichen kirchlichen Einrichtungen unterstützen, die ihrerseits - endlich - ihre Themen und Aufgaben deutlich placieren konnten. Der "Dialog für Österreich" war einerseits prozesshaft über einen längeren Zeitraum, andererseits als einmaliges Ereignis - eben mit einem Abschluss beim Delegiertentag - angelegt. Zunächst aber brachten sich die Experten ein.
Symposien und Parteiengespräche
In diesem Sinn fanden folgende Symposien im Rahmen des "Dialogs für Österreich" statt, die jeweils in Zusammenarbeit mit der Österreichischen Bischofskonferenz veranstaltet wurden:
- Dialog als Hoffnung der Zeit (Kontaktstelle für Weltreligionen)
- Medien zwischen Markt und Macht (Katholisches Zentrum für Massenkommunikation und Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft der Universität Wien)
- Vertragen wir Fremde? (Katholische Aktion Österreich)
- Allianz für den Sonntag (Dr. Karl Kummer- Institut, Katholischer Familienverband Österreichs, Katholische Arbeitnehmer/innenbewegung Österreichs, Katholisches Familienwerk Österreichs, Katholische Männerbewegung der Erzdiözese Wien)
- Kirche zwischen Anspruch und Praxis (Katholische Aktion Österreich)
- Die Personwürde im Kontext der modernen biotechnologischen Entwicklungen
(Arbeitsgemeinschaft Katholischer Verbände Österreichs)
- Armut oder soziale Gerechtigkeit (Katholische Sozialakademie Österreichs und Katholische Aktion Österreich)
- Frauen arbeitslos (Katholische Frauenbewegung Österreichs)
- Wege aus der Jugendarbeitslosigkeit (Katholische Arbeiter- und Arbeiterinnenjugend Österreichs)
- Arbeit und Einkommen fair-teilen (Katholische Arbeitnehmer/innenbewegung Österreichs)
- Gelebte Schöpfungsverantwortung (ARGE Schöpfungsverantwortung).
All diese Symposien sind durch Veröffentlichungen dokumentiert (Restexemplare erhältlich im Österreichischen Pastoralinstitut).
Walter Krieger (2008)
Fünf Studientage der Österreichischen Bischofskonferenz mit den politischen Parteien fanden 1997/1998 statt (FPÖ, Liberales Forum, SPÖ, ÖVP und Die Grünen) und sind dokumentiert in dem Band "Parteien und katholische Kirche im Gespräch" (Restexemplare sind im Generalsekretariat der Österreichischen Bischofskonferenz erhältlich).
Der Dialog für Österreich auf dem Weg
In den weiteren Gesprächsprozessen des "Dialogs für Österreich" sollten möglichst viele Interessierte einbezogen werden. Als Gesprächsimpuls wurde ein Grundtext zu Beginn des Jahres 1998 herausgegeben und zu Rückmeldungen dazu bzw. zum Einbringen weiterer gewünschter Themen eingeladen. Dabei waren also nicht mehr nur die Experten gefragt, sondern jede/r, der/die etwas mitteilen wollte. Hier wurde ein ungeheures Potenzial an Kreativität freigesetzt, zugleich auch an Erwartungen: was würde wohl aus all diesen Ideen, Wünschen, Meinungen, Argumenten, kompetenten Ratschlägen, querliegenden Einzelansichten usw. werden?
Aus den über 1000 Eingaben mit ca. 10000 Einzelvorschlägen erstellte ein Redaktionsteam im Sommer 1998 ein Arbeitsdokument, das den Beratungen des Delegiertentages (23. - 26. Oktober 1998) zugrundegelegt wurde. Diese Delegiertenversammlung bedeutete gleichzeitig - statutengemäß - den Abschluss des "Dialogs für Österreich".
Auf dem Delegiertentag befassten sich über 300 Teilnehmer/innen in 12 Gruppen mit den Themen:
1. Gott suchen - Gott erfahren
2. Die frohe Botschaft heute verkünden
3. Verantwortung aus Liebe
4. Anspruch und Scheitern. Schuld und Vergebung
5. Kirche - unsere gemeinsame Berufung
6. Berufung und Leben der Priester
7. Frauen in der Kirche
8. Kirche als Ortskirche und Weltkirche
9. Kultur des Lebens
10. Lebensraum Familie
11. Sozial wirtschaften
12. Solidarität kennt keine Grenzen
Zu den in den Arbeitsgruppen erstellten Vorschlägen wurden Voten abgegeben, die das Meinungsbild der Delegierten widerspiegelten.
(Eine Dokumentation dieses Delegiertentages wurde erstellt und ist in Restexemplaren im ÖPI erhältlich.)
Dieser Delegiertentag war ein großes Ereignis, bei dem viel Begeisterung, Engagement und eine neue Wertschätzung über alle Unterschiede von Positionen hinweg spürbar wurden. Und das war wahrscheinlich die intensivste Erfahrung, nochmals durch die alphabetische Sitzordnung verstärkt, als eben nicht nur die "Gleichgesinnten" nebeneinander saßen, sondern auch Personen mit extrem gegensätzlichen Meinungen und Kirchenbildern Nachbarn waren - und miteinander reden - und entdecken konnten: auch der/die andere meint es im Grunde gut mit dieser Kirche.
Der "Dialog für Österreich" wurde abgeschlossen, aber natürlich konnte das nicht das Ende eines Prozesses sein, der so viel angeregt hat.
Weiterarbeit
In der Folge gab es einige Bemühungen, dass "der Dialog weitergeht". Das deutlichste Zeichen setzte die Diözese Eisenstadt mit dem "Dialog für das Burgenland", der in gewisser Weise institutionalisiert wurde und zu dem jahrelang noch einzelne Veranstaltungen stattfanden.
Die Österreichische Bischofskonferenz selbst hat in ihrer Sitzung im November 1998 zehn Themen aufgegriffen und dazu Projektgruppen eingesetzt. Darüber hinaus stand es jeder Einrichtung frei, an dem einen oder anderen Thema des "Dialogs für Österreich" zu arbeiten. Bei diesen zehn Projektgruppen ging es um:
1. Wiederverheiratet-Geschiedene im Kontext von Ehe und Familie(Votum 4-1), Leitung: Bischof Klaus Küng
2. Geistliche Berufe in Österreich (Votum 6-1), Leitung: Bischof Alois Schwarz
3. Frauen in Kirche und Gesellschaft (Votum7-2), Leitung: Bischof Egon Kapellari
4. Bischof sein heute (Votum 8-2), Leitung: Bischof Alois Kothgasser
5. Sonntag und Feiertag im Kontext der gesellschaftlichen Entwicklung (Votum 11-2), Leitung: Bischof Maximilian Aichern
6. Plattform Jugend (Votum 2-2), Leitung: Bischof Paul Iby
7. Neue Wege der Verkündigung (Votum 2-1), Leitung: Erzbischof Georg Eder
8. Pastorale Leitlinien für den Erwachsenenkatechumenat (Votum 2-3), Leitung: Bischof Helmut Krätzl
9. Ökumenisches Sozialwort (Votum 11-1 ), Leitung: Bischof Maximilian Aichern
10. Expertengruppe bezüglich "Ehebegriff", Leitung: Bischof Klaus Küng
Nicht eingerichtet wurde jedoch die angekündigte "Steuerungsgruppe", die die Weiterarbeit begleiten sollte - und die Erfolge des vorangegangenen kirchlichen Krisenmanagements wurden so verspielt. Irritationen tauchten auf. Tatsächlich haben die Bischöfe in diesem Dialogprozess zunächst eine führende Rolle übernommen, aus der sie sich nun aber (eben bis auf diese 12 Projektgruppen) zurückzogen - und damit wurde das Unternehmen im gesamten einigermaßen führerlos. Zudem erweckte eine mangelnde Öffentlichkeitsarbeit den Eindruck, dass nichts geschieht, dass alle Mühen umsonst gewesen wären, dass der Dialog gestorben bzw. abgewürgt worden sei usw. Weiters gewannen viele den Eindruck, dass die Weiterarbeit nicht der großen Linie des Delegiertentages folgte.
Schließlich wussten viele nicht einzuschätzen, welche Bedeutung "Briefe aus Rom" in diesem ganzen Prozess hatten. Denn tatsächlich gab es während des "Dialogs für Österreichs" mehrmals besorgte "Briefe aus Rom". Es gelang aber, das Anliegen des "Dialogs für Österreich" so zu kommunizieren, dass Missverständnisse ausgeräumt werden konnten und der "Dialog für Österreich" wie von der vorbereitenden Arbeitsgruppe geplant stattfand. Nach dem "Dialog für Österreich" erfolgte durch Kardinal Ratzinger eine weitere Reaktion auf die Voten des Delegiertentages, indem er eine "Klarstellung" verfasste, in der für das Lehramt problematische Punkte angesprochen und bewertet wurden. (Dies ist seinerzeit in Kathpress erschienen.)
Einige als zentral empfundene Themen während des "Dialogs für Österreich" wurden danach aber nicht weiter vorangetrieben, vor allem verschiedene Reformfragen, die auch die Weltkirche betreffen. Freilich wurden die österreichischen Vorschläge in Rom vorgebracht... Manche pastoralen Themen des "Dialogs für Österreich" sind ein Dauerauftrag.
Aber die bischöflichen Projektgruppen erzielten Ergebnisse:
1. Die Projektgruppe "Erwachsenenkatechumenat" erarbeitete den "Leitfaden Erwachsenenkatechumenat", der im Jahr 2000 herausgegeben wurde.
2. Die Projektgruppe "Neue Wege der Verkündigung" veröffentlichte ihren Text ebenfalls im Jahr 2000 im Österreichischen Pastoralinstitut.
3. Die Projektgruppe "Geistliche Berufe in Österreich" veröffentlichte ihren Text ebenfalls im Jahr 2000 im Österreichischen Pastoralinstitut; später wurde das Jahr 2002 von der Österreichischen Bischofskonferenz zum "Jahr der Berufung" ernannt; 2004 ist eine Arbeitsmappe "Berufung leben. Perspektiven entschiedener Nachfolge" im Österreichischen Pastoralinstitut erschienen.
4. Die Projektgruppe "Wiederverheiratet Geschiedene" erarbeitete einen Text, der anschließend vom bischöflichen Leiter der Projektgruppe mit den einschlägigen Stellen in Rom weiter beraten wurde. So entstand der Text "Orientierungshilfe für geschiedene und wiederverheiratete geschiedene Gläubige", der im Jahr 2002 herausgegeben wurde.
5. Die Projektgruppe "Frauen" erarbeitete Vorschläge zur Förderung von Frauen in der österreichischen Kirche, insbesondere durch die Einsetzung von Frauenkommissionen. Diese Projektgruppe beendete 1999 ohne weitere Veröffentlichung ihre Arbeit.
6. Die Projektgruppe "Bischofsernennungen" erarbeitete einen Text, der als Eingabe an die Bischofssynode über das Bischofsamt weitergeleitet wurde (2001).
7. Die Projektgruppe "Allianz für den Sonntag" vernetzte sich mit vielen Gruppierungen in Kirche und Gesellschaft zugunsten dieses Anliegens. Das Thema erhielt dadurch einen kräftigen Impuls; wird heute von vielen getragen und ist im Bewusstsein vieler Verantwortlicher in Kirche und Gesellschaft verankert.
8. Das Projekt "Sozialwort" wurde mit der Einladung an die verschiedenen christlichen Kirchen in Österreich, gemeinsam daran zu arbeiten, auf eine neue Basis gestellt. Erscheinungstermin dieses in dieser ökumenischen Breite weltweit einzigartig verfassten Dokumentes war der 1. Adventsonntag im Jahr 2003.
9. Aus der Projektgruppe "Jugend" entwickelte sich der "Dialog X", eine Plattform aller in der kirchlicher Jugendarbeit engagierter Gruppierungen. Daraus entstanden mehrere Projekte, wie eine österreichweit gemeinsame Gebetsnacht und das Projekt "72 Stunden ohne Kompromiss", das weitergeht.
10. Über den "Ehebegriff" gab es mehrere öffentliche Stellungnahmen von Bischöfen und kirchlichen Einrichtungen - besonders in Reaktion auf aktuelle gesellschaftliche Diskussionen.
Zusammenfassung
Es ist also einiges geschehen, wenngleich der Delegiertentag vielleicht mehr und noch andere Erwartungen geweckt hatte. Manche Themen werden von einschlägigen Einrichtungen bearbeitet (Familie, Verkündigung, Frauenfrage in der Kirche). Das geschieht sehr unspektakulär und unterschiedlich "erfolgreich". Andere Themen erhalten von Veranstaltungen - z.B. Österreichische Pastoraltagung (u.a. zu den Themen Verkündigung, Bibelpastoral, Berufungspastoral, Gemeinde, Schöpfungsverantwortung) - Impulse. Schließlich gibt es auch neue Entwicklungen, (Einrichtung von "Seelsorgeräumen", Rollen von Laien), die aus heutiger Sicht manche Thematik etwas anders beleuchten.
Gelungen ist, dass Katholiken unterschiedlichster Positionen einander mit mehr Wertschätzung begegnen.
Zugleich ist man ein Stück weit aus dem innerkirchlichen Raum hinausgetreten und konnte sich in einigen aktuellen gesellschaftlichen Fragen als kompetenter Gesprächspartner profilieren. Und auch wenn das kirchliche Image in der Öffentlichkeit nicht "gut" ist: es ist im Vergleich zu 1998 um Vieles besser geworden.
Der "Dialog für Österreich" hat die Probleme nicht "gelöst", aber er hat manches doch vorangebracht. Er war ein guter, auch mutiger Schritt, weil sein Verlauf und seine Auswirkungen nicht vorhersehbar waren. Einiges ist in diesem gesamten Prozess besser, anderes weniger gut gelungen. Wie auch immer man es sehen will: dem "Dialog für Österreich" gebührt ein erinnerungswürdiger Platz in der jüngeren Geschichte der Katholischen Kirche in Österreich.